Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Haftung des Vermieters von E-Rollern beim Sturz eines Fußgängers über abgestellte E-Roller

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Vermieter von E-Rollern haftet nicht aus einer Gefährdungshaftung als Halter, da E-Roller als Elektrokleinstfahrzeuge von der Anwendung des § 7 StVG ausgeschlossen sind.

2. Der Vermieter von E-Rollern genügt grundsätzlich seinen Verkehrssicherungspflichten bezüglich der Art und Weise des Aufstellens der E-Roller, wenn er die hierzu ergangenen Bestimmungen der behördlichen Sondernutzungserlaubnis beachtet, die ihm die Nutzung der öffentlichen Straßen über den Gemeingebrauch hinaus gestattet.

3. Eine über die Bestimmungen der behördlichen Sondernutzungserlaubnis hinausgehende Verpflichtung des Vermieters von E-Rollern, diese so aufzustellen, dass jedes erdenkliche Schadensszenario ausgeschlossen ist, besteht nicht, da dies im Ergebnis einer Gefährdungshaftung entsprechen würde, die nach § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen ist.

4. Das durch Art. 20 UN-BRK gewährleistete allgemeine Schutzinteresse von Verkehrsteilnehmern mit Behinderungen ist zur Auslegung der Anforderungen der dem Vermieter von E-Rollern erteilten behördlichen Sondernutzungserlaubnis heranzuziehen.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 823; eKFV § 1; StVG §§ 7-8; UN-BRK Art. 20

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 697/21)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts vom 16.03.2022, Az. 6 O 687/21 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

III. Dieses Urteil sowie das Urteil des Landgerichts Bremen vom 16.03.2023, Az.: 6 O 697/21, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung aufgrund des Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Gegenstandswert für die Berufung wird auf EUR 22.000,00 festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von Schmerzensgeld aus einem Unfallereignis vom 28.07.2020 in ... in Anspruch. Der Kläger ist blind und benutzt als Fußgänger im Straßenverkehr zur Orientierung einen Langstock. Die Beklagte zu 1) vermietet gewerblich E-Roller im sog. free-floating-Modell, d.h. ohne festen Standort der E-Roller. Der Beklagte zu 2) ist bei der Beklagten zu 1) als "Market Operations Manager" für die Standorte ... zuständig. Die Beklagte zu 3) übernimmt das operative Geschäft in ... und stellt mittels sog. "Hunter" die E-Roller der Beklagten zu 1) in ... auf.

Das Ordnungsamt ... erteilte der Beklagten zu 1) am 26.11.2019 eine Sondernutzungserlaubnis (nachfolgend: SNE 2019) zur Einbringung von bis zu 500 E-Rollern im öffentlichen Straßenraum der Stadtgemeinde ..., die bis zum 30.04.2021 Geltung hatte. In den Nebenbestimmungen unter Ziff. 3 (Aufstellen der Fahrzeuge) und Ziff. 6 (Reaktionszeiten) heißt es u.a.:

"3a) Bei der Auswahl der Standorte sowie bei Aufstellen der Fahrzeuge hat die Erlaubnisinhaberin die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Die Belange von Senioren, Kindern und Menschen mit Behinderung sind dabei besonders zu berücksichtigen.

3b) Werden die Fahrzeuge durch die Erlaubnisinhaberin aufgestellt oder umverteilt, muss am neuen Standort eine Restgehwegbreite von 1,50 m verbleiben; das Aufstellen von Fahrzeugen an öffentlichen Fahrradabstellanlagen bzw. Radständern ist untersagt.

3c) Das Aufstellen von Fahrzeugen im öffentlichen Raum ist bei Umverteilungsmaßnahmen durch die Erlaubnisinhaberin auf maximal vier Fahrzeuge pro Standort zu begrenzen. Standorte müssen einen Abstand von mindestens 50 m voneinander haben.

6a) Fahrzeuge müssen binnen 24 Stunden nach Meldung um mindestens 50m umgestellt, entfernt, oder in einen betriebs- bzw. fahrbereiten Zustand versetzt werden, wenn aa) Fußwege, (...) blockiert werden. Fußwege gelten als blockiert, wenn die Restgehwegbreite von 1,50m unterschritten wird."

Am 28.07.2020 verunfallte der Kläger, indem er über zwei auf dem Gehweg befindliche E-Roller der Beklagten zu 1) stürzte. Durch den Sturz erlitt der Kläger einen Oberschenkelhalsbruch, der operativ behandelt werden musste. Der Gehweg ist an der Unfallstelle 5,50 m breit. Die beiden Roller wiesen jeweils eine Länge von 1,15 m auf. Ausweislich eines zur Akte gereichten Lichtbildes von der Unfallstelle (Anlage K2), standen oder lagen die beide E-Roller jeweils im 90 Grad Winkel zur Hauswand parallel nebeneinander, wobei die Lenker jeweils hin zum Gehweg zeigten.

Der Kläger hat vor dem Landgericht behauptet, er sei in einem gemäßigten Gehtempo und sich im Pendelgang mit seinem weißen Langstock an der "inneren Leitlinie" entlang der Hauswand orientierend, auf dem Gehweg gelaufen und habe dabei mit dem Langstock den ersten Roller noch als Hindernis wahrgenommen. Beim Übersteigen des ersten E-Rollers sei er sodann auf ...

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