Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung aus Verkehrssicherungspflicht nach Sturz über eine gut sichtbare Tierwaage im Anmelderaum einer Tierarztpraxis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine auf dem Boden, 80 cm vom Eingang entfernt seitlich an der Wand stehende quadratische

Tierwaage mit einer Breite von 1 m und einer Höhe von 10 cm, die sich durch ihre schwarze Oberfläche mit silberner Einfassung gegen einen hellen Bodenbelag abhebt, stellt in einem Eingangs-, Anmelde- und Wartebereich einer Tierarztpraxis keine Verkehrssicherungspflichtverletzung dar.

2. Die Gefahr, dass ein Kunde einer Tierarztpraxis, der den Bereich der einer solchen Tierwaage bereits passiert hat, in einer Begegnungssituation mit einem Kunden nach seitlichem Ausweichen nicht einfach stehenbleibt, sondern zusätzlich rückwärts geht, nicht mehr an die Tierwaage denkt und deshalb über diese stürzt, ist zwar abstrakt gegeben, aber nicht naheliegend; als solche ist sie deshalb verkehrssicherungsrechtlich auch nicht haftungsbegründend.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Göttingen (Urteil vom 07.12.2017; Aktenzeichen 8 O 124/17)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 7.12.2017 - 8 O 124/17 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsrechtszuges zu tragen.

Das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 7.12.2017 - 8 O 124/17 - ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 36.079,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden, die sie wegen einer Radiusköpfchenfraktur des rechten Ellenbogens erlitten habe bzw. noch erleide, nachdem sie am 19.1.2017 in der Tierarztpraxis des Beklagten über eine Tierwaage gestürzt sei.

Wegen des Sach- und Streitstands I. Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (LGU Seite 2-4 = Bl. 54-56 d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 22.12.2017 zugestellten (Bl. 65 d.A.) Urteil hat die Klägerin mit dem am 4.1.2018 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 2.1.2018 Berufung eingelegt (Bl. 66 d.A.), die sie darin auch gleichzeitig begründet hat. Zur Begründung führt sie an:

Die Berufung werde lediglich gegen den früheren Beklagten zu 1 und jetzigen Beklagten als Praxisinhaber und deshalb Verkehrssicherungspflichtigen geführt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stelle der Aufstellungsort der Tierwaage am Vorfallstag eine Verkehrssicherungspflichtverletzung dar. Mit seinem Hinweis vom 9.5.2017 habe das Landgericht die geltendgemachte Schmerzensgeldhöhe zu Unrecht als übersetzt angesehen. Hierzu trägt die Berufung im Einzelnen die Verletzungen der Klägerin und den Behandlung- und Heilungsverlauf sowie die als verblieben angegebenen Beschwerden vertieft vor (Seite 3 f. der Berufungsbegründung = Bl. 68 f. d.A.). Zum Grunde meint die Berufung, das Landgericht argumentiere widersprüchlich, indem es selbst nicht ausgeschlossen habe, dass die streitgegenständliche Tierwaage durchaus eine Gefahrenquelle darstellen könne, das Landgericht aber gemeint habe, dass die Klägerin an ihrem Sturz "selbst Schuld" habe. Die Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht sei nicht an das Verhalten der Klägerin anzuknüpfen, sondern an das des Beklagten, der die Gefahrenlage geschaffen und nicht auf diese hingewiesen habe. Die Klägerin ist weiter der Auffassung, mit einer Höhe von unstreitig 10 cm liege die Tierwaage "nicht in Sichthöhe". Unklar sei, was das Landgericht mit der Formulierung meine, für den aufmerksamen Beobachter zeige sich sofort ein Höhenversatz der Flächen. Nach Auffassung der Berufung dürften im Wartebereich eine Tierarztpraxis keine sturzgefährdenden Sachen liegen. Eine Sturzgefahr könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass man in eine Tierarztpraxis mit derartigen Gegenständen rechnen müsse. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der Publikumsverkehr der Tierarztpraxis auch ältere Menschen umfasse, zu denen auch die Klägerin gehöre. Das Landgericht habe nicht einmal untersucht, "was es für einen Sinn macht, im Wartebereich einer Tierarztpraxis eine Waage zu deponieren". Die Verkehrssicherungsanforderungen seien erhöht, weil es sich zum einen um keinen privaten, sondern betrieblichen Bereich mit erhöhtem Publikumsverkehr gehandelt habe, außerdem deshalb, weil die Tierarztpraxis wegen gesundheitlicher Beschwerden, nämlich solcher bei den Tieren, aufgesucht werde, also um "positive Effekte" zu erleben und nicht einen Sturz über eine Waage. Es sei "am besten", eine Waage dort nicht aufzustellen. Das Landgericht habe auch das Vera...

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