Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe eines 'Protokoll-Urteils' nur zur Kenntnisnahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wie im Strafverfahren ist auch im Bußgeldverfahren unabhängig von der Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 I 2 StPO die nachträgliche Ergänzung eines nicht mit Gründen versehenen, also abgekürzten Urteils bzw. die nachträgliche Fertigung schriftlicher Urteilsgründe grundsätzlich unzulässig, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist. Dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz entsprechende Ausnahmen zulässt (Festhaltung an OLG Bamberg, Beschlüsse vom 30.06.2006 - 3 Ss OWi 650/06 = zfs 2006, 592 und vom 15.01.2009 - 3 Ss OWi 1610/08 = zfs 2009, 648 ff.).

2. Eine die nachträgliche Fertigung von Urteilsgründen sperrende Hinausgabe eines sog. 'Protokoll-Urteils' liegt auch dann vor, wenn das ohne Gründe in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommene oder diesem als Anlage beigegebene bzw. nachgeheftete Urteil zur Herbeiführung einer (frühzeitigen) Rechtsmittelerklärung der Staatsanwaltschaft auf gerichtliche Anordnung mit oder ohne Akten der Staatsanwaltschaft bekannt gegeben wird. Insoweit ist es insbesondere auch ohne Belang, ob die Bekanntgabe zur Zustellung (§ 41 StPO) oder aber nur "zur Kenntnis" des Hauptverhandlungsprotokolls und unter dem ausdrücklichen 'Vorbehalt' einer (späteren) Urteilszustellung gemäß § 41 StPO erfolgt.

 

Normenkette

StPO §§ 41, 267, 275; OWiG § 71 Abs. 1, § 77b

 

Tatbestand

Das AG hat die Betr. am 09.08.2011 wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit nach den Art. 7 S. 2, 3 I 1, 2 Nr. 6 i.V.m. Art. 9 II BayGesundheitsschutzgesetz (BayGSG) vom 23.07.2010 (BayGVBl 2010, 314) zu einer Geldbuße von 350 Euro verurteilt. Mit ihrer hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Betr. die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.

 

Entscheidungsgründe

I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich - jedenfalls vorläufig - als erfolgreich und zwingt den Senat auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Denn mit der vom AG bereits am 10.08.2011 entsprechend einer in der Vergangenheit auch noch von einigen anderen Amtsgerichten gepflegten Praxis zur Herbeiführung einer (frühzeitigen) Rechtsmittelerklärung der StA angeordneten und am 12.08.2011 bewirkten urschriftlichen Bekanntgabe eines entgegen § 71 I OWiG i.V.m. § 267 StPO ohne Urteilsgründe abgefassten sog. 'Protokoll-Urteils' ist dem Senat eine materiell-rechtliche Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt. Die Ergänzung durch die erst nach Eingang der Rechtsbeschwerde der Betr. vom 11.08.2011 am 12.08.2011, nämlich am 06.09.2011 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe war nach der st.Rspr. des Senats unzulässig und damit für das vorliegende Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr relevant (rechtsgrundsätzlich: OLG Bamberg, Beschluss vom 16.12.2008 - 3 Ss OWi 1060/08 = zfs 2009, 175 ff.).

1. An diesem Ergebnis ändert sich auch nicht deshalb etwas, weil das AG - offenbar in Kenntnis der erwähnten Senatsrechtsprechung - in seiner Verfügung vom 10.08.2011 die urschriftliche Aktenübersendung an die StA lediglich "z.K. des Hauptverhandlungsprotokolls" angeordnet sowie ausdrücklich mit dem Zusatz versehen hat, dass mit der Übersendung zur Kenntnisnahme noch keine "Zustellung gemäß § 41 StPO verbunden" sei, vielmehr lediglich gebeten werde, "mitzuteilen, ob ein Rechtsmittel beabsichtigt ist", und "falls ja" erst später "eine Zustellung des Urteils mit Gründen erfolgen" werde (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 11.03.2009 - 3 Ss OWi 206/09, vom 16.04.2009 - 3 Ss OWi 384/09, vom 30.06.2009 - 3 Ss OWi 716/09, vom 26.04.2010 - 3 Ss OWi 860/10 und vom 14.10.2010 - 3 Ss OWi 1729/10).

2. Entscheidend ist insoweit auch hier, dass auf Veranlassung des Tatrichters ein nicht mit Gründen versehenes Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 77 b I OWiG gegeben waren. Mit der in der Verfügung vom 10.08.2011 getroffenen Anordnung der Übersendung der Akten einschließlich des Hauptverhandlungsprotokolls (und eines weiteren ebenfalls unterzeichneten Urteilsformulars) an die StA hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe eines Urteils in eben dieser, nicht mit Gründen versehenen (abgekürzten) Fassung entschieden (OLG Celle VRS 75, 461/462 = MDR 1989, 482; OLG Rostock, Beschluss vom 06.10.2004 - 2 Ss [OWi] 259/04 - [bei [...]]; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 212 f.; vgl. auch OLG Celle NZV 1999, 524 = VRS 97, 436 f.; NStZ-RR 2000, 180 = VRS 98, 220 f.; OLG Brandenburg NStZ-RR 2004, 121; OLG Bamberg zfs 2006, 592). Damit hat ein schriftliches Urteil ohne Gründe den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Bekanntgabe an die StA nach außen hin in Erscheinung getreten (Senatsbeschluss vom 16.12.2008 - 3 Ss OWi 1060/08).

3. Das AG hat vorliegend auch durchaus bewusst bei der Bekanntgabe des verkündeten Urteils ...

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