Leitsatz

Nichtige Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung und nichtige Beschlüsse über den Ausschluss eines zahlungssäumigen Eigentümers von der Versammlung bei gleichzeitigem Abstimmungsverbot

 

Normenkette

§ 25 WEG; § 242 BGB

 

Kommentar

  1. Vorliegend war in der Gemeinschaftsordnung vereinbart, dass "ein Eigentümer, der mit der Zahlung von Wohngeldbeiträgen länger als einen Monat im Rückstand sei, von der Teilnahme an der Eigentümerversammlung und der Abstimmung ausgeschlossen werden könne".
  2. In Literatur und Rechtsprechung ist zum Teil umstritten, ob der Ausschluss von der Teilnahme an einer Eigentümerversammlung zur Anfechtung oder Nichtigkeit von Beschlüssen führt. Insoweit ist nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht auf die Rechtsprechung zu einer vorsätzlichen oder versehentlichen Nichtladung eines Eigentümers abzustellen. Im Regelfall dürfte von allein anfechtbaren Beschlüssen auszugehen sein, wenn gesetzlich vorgeschriebene Formvorschriften verletzt wurden.

    Im vorliegenden Fall wurde nun ein Eigentümer mit mehr als einem Monatsbeitrag rückständiger Wohngeldzahlungen durch Beschluss einer Eigentümerversammlung von der Teilnahme ausgeschlossen; er war damit von der Willensbildung der Gemeinschaft abgeschnitten. Zunächst ist bereits darauf hinzuweisen, dass das Teilnahmerecht eines Eigentümers nicht einmal dann beschränkt werden darf, wenn beispielsweise ein Stimmrechtsausschluss nach § 25 Abs. 5 WEG vorliegen sollte. Auch allein in den Grenzen der Vertragsfreiheit (§§ 134, 138, 242 BGB) kann durch Vereinbarung der Wohnungseigentümer das Teilnahmerecht eines Eigentümers näher geregelt, jedoch nicht substanziell entzogen werden. Nach Ansicht der Kammer ist hier die Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung nichtig, da sie offensichtlich gegen § 242 BGB verstößt. Eine solche Eigentumsbeschränkung widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB i.V.m. § 25 WEG. Die Sanktionsgewalt einer Gemeinschaft gegenüber einem "zahlungssäumigen" Wohnungseigentümer muss deshalb dort ihre Grenze finden, wo die konkrete Regelung zu einem allgemeinen Ausschluss von der Teilnahme führt; eine andere Auslegung bedeutet eine nicht hinnehmbare Aushöhlung der Stellung eines Wohnungseigentümers. Das bloße Vorliegen eines Rückstands ist nicht geeignet, Eigentümer in ihrem Teilnahmerecht zu beschränken (vgl. auch LG Regensburg v. 1.2.1991, 5 T 377/90, NJW-RR 1991, 1169; a.A. wohl LG München v. 13.7.1978, 1 T 8163/78, Rpfleger 1978, 381); auch ein Ruhen des Stimmrechts rechtfertigt nicht ohne Weiteres den Ausschluss von einer Versammlung.

  3. 3. Ebenso ist das vereinbarte Verbot des Stimmrechts wegen Verstoßes gegen § 242 BGB nichtig. Das Stimmrecht ist ein wesentliches Mittel des Wohnungseigentümers zur Mitgestaltung der Verwaltungsentscheidungen der Gemeinschaft, so dass ein Ausschluss eine ganz erhebliche Einschränkung des Mitgliedschaftsrechts darstellt und deshalb auf eng begrenzte, gesetzlich vorgesehene Ausnahmefälle gem. § 25 WEG zu beschränken ist (vgl. auch BayObLG, Rpfleger 1999, 190; BGH v. 11.11.1986, V ZB 1/86, NJW 1987, 650). Eine Sanktionsgewalt dahin, dass die Wohnungseigentümer ihren Verpflichtungen ordnungsgemäß nachkommen, ist im Gesetz - abgesehen von der Entziehung des Wohnungseigentums - nicht vorgesehen. Auch Vereinbarungsregelungen müssen sich im Rahmen des Grundcharakters der von den Wohnungseigentümern gebildeten, besonders gearteten Gemeinschaft halten und dürfen außerdem von einzelnen Vorschriften nicht abweichen, die das WEG selbst ausdrücklich als unabdingbar bezeichnet. Die Gestaltungsfreiheit für Gemeinschaftsordnungsvereinbarungen endet nämlich dort, wo die personenrechtliche Gemeinschaftsstellung der Wohnungseigentümer ausgehöhlt wird; dieses mitgliedschaftsrechtliche Element verbietet einen allgemeinen Ausschluss des Eigentümers vom Stimmrecht als seinem entscheidenden Mitverwaltungsrecht im Sinne des § 20 Abs. 1 WEG.
  4. Sowohl der Ausschluss von der Teilnahme an der Versammlung als auch der Ausschluss an der Stimmabgabe waren deshalb nichtig und führten demzufolge auch zur Nichtigkeit der auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse.
  5. Kausalitätserwägungen spielen bei nichtigen Beschlüssen keine Rolle.
 

Link zur Entscheidung

LG Stralsund, Beschluss vom 12.05.2004, 2 T 516/03LG Stralsund v. 12.5.2004, 2 T 516/03, NZM 18/2005, 709

Anmerkung

Diese sorgfältig begründete Entscheidung erscheint durchaus vertretbar und beweist wieder einmal, dass auch Gerichte im streitigen Einzelfall incidenter im Rahmen einer Inhaltskontrolle von Gemeinschaftsordnungsvereinbarungen Nichtigkeiten einzelner Vereinbarungsregelungen nach § 242 BGB feststellen können. Die Vereinbarung ist hier m.E. auch viel zu unbestimmt.

Allerdings kann m.E. eine Vereinbarung zulässiger- und gültigerweise regeln, dass bei einem Zahlungsrückstand eines Eigentümers ab etwa 3 monatlich fälligen Wohngeldvorauszahlungsbeiträgen oder in Höhe eines Betrags, der diese Summe erreicht, sein "Stimmrecht ruht". Auch in einem solchen Vereinsbarungsfall ...

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