Rz. 51

Liegen die Anwendungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1a Satz 1 und 3 EFZG vor, sind abweichende Vereinbarungen in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen gemäß § 12 EFZG i. V. m. § 134 BGB nichtig.[1] Arbeitgeber können daher nicht verlangen, dass die Arbeitnehmer weiterhin eine papierene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Denn dieses Verlangen weicht zuungunsten des Arbeitnehmers von § 5 Abs. 1a Satz 1 EFZG ab, wobei § 12 EFZG ein solches Abweichen zulasten des Arbeitnehmers nicht zulässt.[2] Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Verträge handelt, die bereits vor dem 1.1.2023 zustande gekommen sind, oder solche, die erst ab diesem Zeitpunkt geschlossen werden. Das gilt auch für die in § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG geregelte Pflicht, vom Arbeitnehmer schon vor Ablauf des in § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geregelten Zeitraums zu verlangen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen. Dagegen ist es rechtmäßig zu vereinbaren, dass ein Arbeitnehmer schon am ersten Tag einen Arzt aufsuchen muss, um seine Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen. Denn § 5 Abs. 1a Satz 1 Halbsatz 1 EFZG nimmt gerade auch § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG in Bezug. Für bereits bestehende Regelungen, die im Zweifel die Vorlagepflicht der sich aus dem Arztbesuch resultierenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum Inhalt haben, stellt sich die Frage, ob sie mit dem Inhalt weiterbestehen, dass zwar die Pflicht zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nichtig ist, aber immerhin die darin – als Vorstufe notwendig enthaltene – Pflicht, das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen, weiterhin besteht. Dafür spricht, dass § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG in einem ersten Schritt immer eine ärztliche Feststellung erfordert hat, ansonsten kann eine ärztliche Bescheinigung nicht ausgestellt werden. Durch die Neuregelung in § 5 Abs. 1a Satz 2, Halbsatz 2 EFZG entfällt nur der zweite Schritt, eine ärztliche Bescheinigung dem Arbeitgeber vorzulegen. Insofern lässt sich die Vereinbarung mit dem noch immer rechtmäßigen Inhalt grundsätzlich aufrechterhalten. Im Kontext eines Arbeitsvertrags stellt sich dabei z. B. die Frage der Intransparenz einer solchen – reduzierten – Regelung (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), die sich bei der Prüfung, wieweit eine tarifliche Regelung aufrechterhalten werden kann, nicht stellt. Die Ergebnisse können also unterschiedlich sein, je nachdem, welche Rechtsquelle die fragliche Regelung enthält.

Unabhängig hiervon kann der Arbeitnehmer gut beraten sein, sich auch vor Ablauf von 3 Tagen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aushändigen zu lassen. Der Arbeitnehmer muss immer damit rechnen, dass der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für die ersten 3 Tage – auch nachträglich noch – bestreitet. Ein solches Verhalten muss nicht immer widersprüchlich sein, da sich Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit auch erst im Laufe der Zeit ergeben können.[3]

Dieses Problem besteht auch, wie oben ausgeführt, wenn der Arbeitgeber vorzeitig die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit verlangt. Denn eine Verpflichtung, sich eine ärztliche Bescheinigung aushändigen zu lassen, bezieht sich nach dem Gesetzeswortlaut nur auf die Fälle des § 5 Abs. 1 Satz 2 oder Satz 4 EFZG, also auf Fälle der Arbeitsunfähigkeit, die länger als 3 Kalendertage dauert bzw. einer Arbeitsunfähigkeit, die länger andauert, als in einer Bescheinigung angegeben wurde. Riecken[4]führt insoweit richtig aus: "Nimmt man allerdings die Aussage in der Gesetzesbegründung ernst, wonach die Papierbescheinigung das vorgesehene Beweismittel sei, ist einem Arbeitnehmer im eigenen Interesse zu raten, sich auch dann eine Papierbescheinigung ausstellen zu lassen, wenn er auf ein vorzeitiges Arbeitgeberverlangen die Arbeitsunfähigkeit hat feststellen lassen."

 
Hinweis

Sofern in Arbeitsverträgen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen Regelungen enthalten sind, denen § 5 Abs. 1a Satz 1 EFZG entgegensteht, sind diese ohne weiteres nichtig und damit nicht mehr anzuwenden. Einer expliziten Aufhebung bedarf es daher nicht. Dasselbe gilt, wenn – versehentlich – noch ab dem 1.1.2023 solche Regelungen getroffen würden. Es dient aber sicher der Rechtsklarheit und der Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes, wenn ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweist, dass er nunmehr grundsätzlich keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr vorlegen muss, die Arbeitsunfähigkeit aber weiterhin feststellen lassen muss.

[2] Schmitt/Küfner-Schmitt, EFZG AAG, 9. Aufl. 2023, § 5, Rz. 174.
[3] Schaub/Linck ArbRHdb 20. Aufl. § 98 Rn. 100; BAG, Urteil v. 26.2.2003, 5 AZR 112/02, DB 2003,1395.
[4] Riecken RDA 2022, 235 (241).

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