Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Orientierungssatz

Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit kommt nur dann in Betracht, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Die Ablehnung kann nicht auf die Verfahrensweise oder die Rechtsauffassung des Richters gestützt werden. Eine Ausnahme hiervon ist dann geboten, wenn die Verfahrensgestaltung oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken.

 

Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 11. Januar 2011 gegen die Richterin Dr. L. wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Der Kläger beantragte im Februar 2006 die Feststellungen von Behinderungen sowie die Merkzeichen "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) sowie "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).

Mit Bescheid vom 18. Januar 2007 lehnte der Beklagte nach medizinischen Ermittlungen die Feststellung von Behinderungen ab. Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. November 2007).

Hiergegen hat der Kläger am 20. November 2007 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und die Feststellung eines GdB von 30 ab dem 9. Februar 2006 begehrt. Die zuständige Vorsitzende der 14. Kammer - Richterin Dr. L. - hat ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. B. aus L. eingeholt. Mit Verfügung vom 29. September 2010 hat die Kammervorsitzende einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts auf Donnerstag, den 18. November 2010 bestimmt. Der Kläger hat mit Schreiben vom 28. September 2010 die Befragung des Sachverständigen beantragt, was zur Aufhebung des Termins von Amts wegen führte. Die Kammervorsitzende hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Schreiben des Beklagten übersandt und darauf hingewiesen, dass eine fernmündliche Anfrage an den MDK Sachsen-Anhalt keine Hinweise auf ein Gutachten von Dr. H. vom 24. März 2008 erbracht habe. Am 22. Dezember 2010 hat sie einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 20. Januar 2011 verfügt. Hiernach sollte Prof. Dr. B. als Sachverständiger geladen werden. Tatsächlich hat die Geschäftsstelle der 14. Kammer den Sachverständigen jedoch als Zeugen geladen. Nach einer Terminsanfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28. Dezember 2010 hat die Kammervorsitzende das Versehen bemerkt und Prof. Dr. B. nochmals als Sachverständigen laden lassen sowie die Zeugenladung für gegenstandslos erklärt. Dies hat die Kammervorsitzende den Beteiligten mitgeteilt. Mit Schreiben vom 3. Januar 2011 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Auffassung geäußert, der Sachverständige habe den Kläger untersucht und sei daher als Zeuge anzusehen. Dem Schreiben waren ein Sozialmedizinisches Gutachten vom 24. März 2003 nebst Anlagen beigefügt. Mit Verfügung vom 4. Januar 2011 hat die Kammervorsitzende an der Ladung von Prof. Dr. B. als Sachverständigem festgehalten.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2011 hat der Kläger die Kammervorsitzende wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zur Begründung vorgetragen: Das MDK-Gutachten von Dr. H. datiere vom 24. März 2003. Dieses Gutachten sei dem Sozialgericht mit der Klagebegründung vom 4. Oktober 2008 als Anlage K 2 übersandt worden. Offensichtlich beherrsche die Kammervorsitzende den Prozessstoff nicht. Prof. Dr. B. habe den Kläger untersucht und sei als Zeuge anzusehen. Ihre gegenteilige Ansicht habe die Kammervorsitzende nicht begründet. Dies zeige eine Voreingenommenheit und eine einseitige Einstellung der Kammervorsitzenden. Ihre Äußerungen erweckten den Eindruck, sie habe sich schon vor der Beweisaufnahme festgelegt.

Mit dienstlicher Stellungnahme vom 12. Januar 2011 hat die Richterin ausgeführt, sie halte sich nicht für befangen. Der Vorwurf des "nicht beherrschten" Prozessstoffs treffe nicht zu. Mit Schriftsatz vom 2. April 2008 habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf ein MDK-Gutachten vom 23. März 2008 verwiesen. Das tatsächlich gemeinte MDK-Gutachten vom 23. März 2003 sei erst mit der Beschwerdebegründung zur Akte L 7 SB 9/08 gereicht worden. Nach ihrer Ansicht habe Prof. Dr. B. im Prozess die Stellung eines Sachverständigen. Es sei beabsichtigt gewesen, diese Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung nochmals kurz anzusprechen.

Zu der dienstlichen Stellungnahme hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzend erklärt: Die Äußerungen der Kammervorsitzenden über tatsächlich nicht gesehene oder nicht empfundene Befangenheitsgründe seien verfahrenswidrig und erforderten eine erneute dienstliche Stellungnahme.

II.

Für die Entsc...

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