Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Orientierungssatz

1. Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn objektive Umstände gegeben sind, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung eines vernünftig denkenden Beteiligten Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.

2. Es gehört zur richterlichen Fürsorgepflicht, Überraschungsentscheidungen zu vermeiden. Im Interesse der Beteiligten liegt es, möglichst frühzeitig die Einstellung des Richters zu den für den Prozessausgang maßgebenden rechtlichen Problemen zu erfahren. Hieraus resultiert nicht die Pflicht, die einzelnen relevanten Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten. Erklärt der Richter, dass er ein Gutachtensergebnis für schlüssig halte, so verletzt er nicht seine Unparteilichkeit, weil eine solche Äußerung den Beteiligten Gelegenheit gibt, den Beweiswert des erstellten Gutachtens zu erschüttern.

 

Tenor

Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen die Vorsitzende der 15. Kammer des Sozialgerichts Halle, Richterin Bullwan, wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Verfahrensgegenstand ist die Ablehnung der Vorsitzenden der 15. Kammer des Sozialgerichts (SG) Halle, Richterin B., wegen der Besorgnis der Befangenheit.

Die Beteiligten streiten im Klageverfahren über die Feststellung von Unfallfolgen und die Zahlung einer Verletztenrente. Mit ihrer am 17. Juli 2009 vor dem SG Halle erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2009. Mit diesem erkannte die Beklagte den Unfall der Klägerin vom 9. Januar 1997 mit einer folgenlos ausgeheilten Zerrung der Halswirbelsäule als Arbeitsunfall an und lehnte neben der Feststellung zusätzlicher Unfallfolgen die Erbringung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 7. März 1997 hinaus ab.

Mit Schreiben vom 5. Februar 2010 hat die Kammervorsitzende die Klägerin darauf hingewiesen, dass das SG nicht an die Feststellungen eines von der Klägerin vorgelegten Urteils des Landgerichts Halle vom 1. Juni 2005 (7 O 510/01) gebunden sei und die Klage nach gegenwärtigem Erkenntnisstand wohl keine ausreichende Erfolgsaussicht biete. Abzustellen sei anstatt auf jetzige Feststellungen eher auf ältere (unfallnahe) Befunde. Zudem enthielten von der Klägerin herangezogene Gutachten teilweise keine Aussagen zu Ursachenzusammenhängen bzw. seien nicht nach den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung erstellt worden. Insoweit werde die Klägerin um weiteren Sachvortrag gebeten, warum das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten des Sachverständigen M.-C. unzutreffend sei.

Nachdem die Klägerin hierzu mit Schreiben vom 23. April 2010 Stellung genommen und die Kammervorsitzende mit Verfügung vom 23. August 2010 auf die Antragsmöglichkeit nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufmerksam gemacht hatte, hat die Klägerin unter ausführlicher Darlegung ihrer Ansicht unter dem 21. Oktober 2010 vorsorglich beantragt, drei bestimmte Mediziner nach § 109 SGG gutachtlich zu hören.

Mit richterlichem Hinweisschreiben vom 23. März 2011 hat die Kammervorsitzende an ihrer Einschätzung festgehalten und unter näherer Auseinandersetzung mit den von der Klägerin angeführten Gutachten der Dres. H., Z. und Prof. H. dargelegt, warum von Amts wegen weiterhin keine Ermittlungen für erforderlich gehalten würden. Im Übrigen hat sie die Klägerin u.a. um Mitteilung gebeten, ob hinsichtlich des Antrags nach § 109 SGG Stellungnahmen nach Aktenlage oder (ambulanter) Untersuchung begehrt würden sowie eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen gesetzt.

Am 21. April 2011 hat die Klägerin die Kammervorsitzende wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Auseinandersetzung mit den vorgelegten Gutachten im Hinweis vom 23. März 2011 stelle eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar, die Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin aufkommen lasse. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die unter Bezugnahme auf den Gutachter M. getroffene Feststellung, dass sie (die Klägerin) beim Unfall keine knöchernen Verletzungen erlitten habe. Bei ihr sei der Eindruck entstanden, sie solle kein faires rechtsstaatliches Verfahren bekommen.

Die Klägerin beantragt,

die Vorsitzende der 15. Kammer des Sozialgerichts Halle, Richterin Bullwan, wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Am 28. April 2011 hat sich die Kammervorsitzende dienstlich zum Ablehnungsgesuch geäußert und dieses - einschließlich der Verfahrensakte S 15 U 89/09 - dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Sie halte das Gesuch für unbegründet. Anknüpfend an die Hinweise vom 5. Februar und 23. August 2010 habe das Schreiben vom 23. März 2011 zur Verdeutlichung gedient, warum derzeit keine Ermittlungen von Amts wegen erfolgten. Eine endgültige Entscheidung, die sie allein...

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