Verfahrensgang

SG Mainz (Urteil vom 29.10.1987; Aktenzeichen 5 4 J 241/86)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29.10.1987 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit dem 30.11.1989 wegfällt.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die im Jahre 1929 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Versichertenrente.

Sie war in der DDR ab 1945 als Hausgehilfin, Schrankenwärterin und Fahrkartenverkäuferin berufstätig. Im November 1982 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über, um die Pflege ihrer schwerkranken Mutter bis zu deren Tod im Jahre 1984 zu übernehmen. Am 22.11.1982 nahm sie eine Versicherungspflichtige Beschäftigung als Haushaltsgehilfin in einem Altenheim der Arbeiterwohlfahrt auf, in dem sich auch ihre Mutter befand. Seit dem 30.7.1985 ist sie arbeitsunfähig krank und klagt über starke Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich beiderseits und im Wirbelsäulenbereich, die über die linke Gesäßseite in das linke Bein bis in den Außenknöchel ausstrahlen.

Vom 30.7. bis 27.8.1985 machte sie im Rheuma-Zentrum Bad A. auf Kosten der Beklagten ein Heilverfahren. Sie klagte dort, die Hauptschmerzen im Bereich der Wirbelsäule träten nachts und bei längerer körperlicher Belastung (besonders Serviertätigkeit) auf. Im ärztlichen Entlassungsbericht heißt es, die Tätigkeit als Hausangestellte sei auf längere Sicht sicherlich ungeeignet. Anzustreben sei eine leichte Arbeit mit Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen und ohne einseitige Körperhaltung, ohne Tragen von Lasten und ohne häufiges Bücken.

Wegen Wirbelsäulenbeschwerden stellte sie im Oktober 1985 bei der Beklagten den Rentenantrag.

Die Obermedizinalrätin K. führte, die Rückenschmerzen auf ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom und eine Periarthritis humero scapularis zurück. Hinzu komme eine vegetative Dysregulation mit depressiver Komponente. Dennoch könne die Klägerin noch eine leichte körperliche Tätigkeit vollschichtig in geschlossenen beheizten Räumen, nicht in Zwangshaltung, ohne Akkord- und Schichtarbeit verrichten.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag ab. Im Widerspruchsverfahren hörte sie ergänzend den Nervenarzt Dr. S. welcher die Beurteilung der Obermedizinalrätin K. bestätigte.

Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Speyer erhoben. Sie hat zur Begründung ein Attest des Orthopäden Dr. W. vorgelegt, welcher eine degenerative. Wirbelsäulenerkrankung, ein rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom, eine Spondylolisthesis am 5. Lendenwirbelkörper, die rezidivierende Periarthritis, eine beginnende Ostechondrose beider Hüftgelenke, einen Diabetes mellitus und eine Depression bescheinigte.

Das Sozialgericht hat die Krankenunterlagen des Hausarztes Dr. M. und des Vertrauensärztlichen Dienstes W. bei gezogen. Es hat die Klägerin schließlich orthopädisch und psychiatrisch begutachten lassen. Nach dem Orthopäden Dr. Kö. hat sich eine deutliche Diskrepanz zwischen den mit Nachdruck vorgebrachten subjektiven Beschwerden und dem objektiven Untersuchungsbefund gezeigt. In der Beurteilung ist er Dr. S. gefolgt. Die Nervenärztin Dr. I. hat in ihrem Gutachten vom 22.6.1987 ein psychosomatisches Syndrom, ein funktionelles Schmerzsyndrom und eine Unterbegabung beschrieben. Die Klägerin sei deutlich in ihrer Kontaktfähigkeit und Gefühlswahrnehmung gestört, verborgen hinter einem Redeschwall. Es bestehe keine Aussicht auf Besserung der Beschwerden durch eine Therapie. Die Klägerin sei unfähig, aus eigener Kraft und mit zumutbarer ärztlicher Hilfe die einer Arbeitsaufnahme entgegenstehenden Hemmungen zu überwinden.

Durch Urteil vom 29.10.1987 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit im Oktober 1985 anzuerkennen und Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1.11.1985 zu gewähren. In seiner Begründung hat es sich auf das Sachverständigengutachten von Dr. I. gestützt. Von somatischer Seite sei das Leistungsvermögen der Klägerin zwar noch nicht entscheidend eingeschränkt. Für die Leistungsbeurteilung seien aber auch die psychische Störung sowie deren Folgen maßgebend.

Gegen das am 22.11.1987 zugestellte Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Sie trägt vor: Das Gutachten von Dr. I. weise gegenüber dem Gutachten von Dr. S. keine neuen verwertbaren Diagnosen des psychiatrischen Fachgebiets auf und halte einer gutachterlichen Nachprüfung nicht stand. Obwohl sie keine depressive Komponente bestätigen könne, konstruiere sie einen sogenannten psychosomatischen Modus, wonach die Klägerin aufgrund der Widrigkeiten in ihrer biographischen Anamnese nicht traurig oder depressiv, sondern vielmehr im Bereich der Stütz- und Bewegungsorgane krank geworden sei. Die offensichtlich von ihr beobachteten Zeichen einer vegetativen Dysregulation, eines funktionellen Schmerzsyndroms könnten aber sehr wohl Folge einer Erkrankung des internistischen Fachgebiets sein. Deshalb werde empfohlen, ein internistisches Gu...

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