Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlass eines Summenbeitragsbescheides durch den Rentenversicherungsträger bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers

 

Orientierungssatz

1. Der Erlass eines nicht personenbezogenen Summenbeitragsbescheides durch den Rentenversicherungsträger ist nach § 28f SGB 4 zulässig, wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt.

2. Der Rentenversicherungsträger ist zu dessen Erlass berechtigt, wenn es ihm bei Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides als unverhältnismäßig erscheinen müsste, eine personenbezogene Feststellung der Beiträge vorzunehmen (BSG Urteil vom 28. 4. 2010, L 8 R 30/09).

3. Erst wenn sich ergibt, dass der vom Arbeitgeber zu leistende Arbeitsaufwand das Interesse an der Sicherung des Beitragsaufkommens gefährdet, kann unter Abwägung mit den individuellen Leistungsinteressen der Versicherten der Erlass des Summenbescheides gerechtfertigt sein.

4. Die Schätzung des Arbeitsentgelts ist in Anlehnung an das Steuerrecht vorzunehmen. Sie muss von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen ausgehen und hat eigene, sozialversicherungsrechtliche Maßstäbe anzulegen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.03.2018; Aktenzeichen B 12 R 60/17 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 12.11.2013 geändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst zu tragen haben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 69.109,24 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Summenbeitragsbescheides (§§ 28p Abs. 1 Satz 5, 28f Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch [SGB IV]), mit dem die Beklagte den Kläger auf Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung für den Zeitraum vom 1.11.2003 bis zum 31.12.2007 nebst Säumniszuschlägen (§ 24 SGB IV) in Anspruch genommen hat.

Der nach eigenen Angaben über eine Qualifikation zum Dipl.-Bauingenieur (YU) verfügende Kläger betrieb in dem Zeitraum von 2003 bis Februar 2008 als Einzelunternehmer ein Bauunternehmen in I. Hierzu hatte er mit Wirkung zum 1.1.2003 zunächst ein Gewerbe mit der Tätigkeitsbezeichnung "Rohbauarbeiten" angezeigt und zum 15.6.2003 eine Änderung zugunsten eines Gewerbes mit der Beschreibung "Einschalungsarbeiten, Eisenverlegen, Trockenbau und Reinigung" gemeldet (Ummeldungsanzeige der Stadt I vom 18.6.2003). Mit Wirkung zum 12.1.2004 machte er der Gewerbeaufsicht eine Erweiterung seiner Tätigkeit zugunsten von "Maurer- und Stahlbetonarbeiten" bekannt. Im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit hatte der Kläger insgesamt 51 Arbeitskräfte als (teilweise geringfügig) beschäftigte Arbeitnehmer sozialversicherungsrechtlich angemeldet.

Im Jahr 2006 gewann das Hauptzollamt (HZA) E (Finanzkontrolle Schwarzarbeit [FKS]) im Zuge von Ermittlungen gegen verantwortlich Handelnde der Firma C GmbH, E, Informationen über Vertragsbeziehungen zwischen dieser Gesellschaft und dem Kläger. Diese Erkenntnisse veranlassten das HZA E im August 2007 zur Einleitung eines gesonderten Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung sowie der Vorenthaltung von Arbeitsentgelt für den Zeitraum von 2003 bis zunächst Juli 2007. Nach Auswertung sichergestellter Vertragsdokumente, vorgefundenen Ausgangsrechnungen und dokumentierten Aufwänden des Klägers für beauftragte Subunternehmer, einzelner Wochenberichte über ein von dem Kläger bearbeitetes Bauvorhaben sowie den dokumentierten Meldungen zur Sozialversicherung nahm das HZA E an, dass der prozentuale Anteil zwischen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen einerseits und geringfügigen Beschäftigungen andererseits für den "Baubereich absolut untypisch" sei. So habe der Kläger im Kalenderjahr 2003 keinerlei sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen gemeldet. Im Kalenderjahr 2004 habe der Anteil der gemeldeten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungstage 54,1% betragen, wohingegen 45,9% der Beschäftigungstage als geringfügige Arbeitsverhältnisse gemeldet worden seien. Im Jahr 2005 habe sich der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Einsatztage auf lediglich 48,13% und im Jahr 2006 auf sogar nur 30,03% belaufen. Die im Übrigen geleisteten Arbeitstage seien als geringfügige Beschäftigung gemeldet worden (Vermerk des HZA E vom 29.1.2009).

Nachdem im Zuge sodann vollzogener Durchsuchungsmaßnahmen (Beschlüsse des Amtsgerichts [AG] I vom 16.2.2009 und vom 6.7.2009) bei dem Kläger und dessen Steuerberaterin umfangreiche Geschäftsunterlagen beschlagnahmt worden waren, stellte das HZA E nach deren Auswertung fest, dass der Kläger im Zeitraum von November 2003 bis März 2008 in einem Umfang von insgesamt 17.016 Arbeitsstunden keine Beiträge zur Sozialversicherung und keine Lohnsteuern abgeführt habe (Vermerk des HZA E vom 27.7.2009).

Anlässlich einer Beschuldigtenvernehmung am 28.9.2009 durch das HZ...

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