Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Vertretungsbefugnis für die minderjährigen Kinder des auch sorgeberechtigten Elternteils ohne Einverständnis des anderen Elternteils. Ausübung des Umgangsrechts mit den getrenntlebenden Kindern. zeitweise Bedarfsgemeinschaft. Sozialgeldanspruch der Kinder. kein Mehrbedarf für Alleinerziehende. keine Erhöhung der Regelleistung

 

Orientierungssatz

1. Grundsätzlich steht, sofern durch das Familiengericht nicht etwas anderes bestimmt oder einer der im BGB vorgesehenen Ausnahmetatbestände vorliegt, in Ausübung der elterlichen Sorge (§ 1626 BGB) die Vertretung eines nicht geschäftsfähigen Kindes den Eltern gemeinschaftlich zu (§ 1629 Abs 1 BGB).

2. Die in § 73 Abs 2 S 2 SGG postulierte Vermutung der Vertretungsberechtigung von Verwandten in gerader Linie ist widerlegt, wenn der ebenfalls sorgeberechtigte andere Elternteil der Klageerhebung - wie hier - ausdrücklich widerspricht.

3. Die Rechtsfolge der Vertretungsvermutung des § 38 S 1 SGB 2 beschränkt sich nur auf die Vertretung im Verwaltungsverfahren.

4. Im Lichte des Art 6 Abs 1 und Abs 2 GG ist die Regelung in § 1687 Abs 1 S 4 BGB über die alleinige Sorgerechtsaufübung und damit auch alleinige Vertretung prozessfähiger Kinder im sozialgerichtlichen Verfahren über Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB 2 bei zeitweiser Bedarfsgemeinschaft anzuwenden.

5. Einem Haushalt angehören iS von § 7 Abs 3 Nr 4 SGB 2 können auch diejenigen Kinder, die mit gewisser Regelmäßigkeit in einem nicht unerheblichen Umfang einen Elternteil besuchen.

6. Nicht erwerbsfähige, minderjährige Kinder, die den getrennt lebenden Elternteil im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts besuchen, bilden daher eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft mit diesem Elternteil und haben für die Tage ihres Besuchs einen anteiligen Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 SGB 2, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können bzw der Bedarf nicht anderweitig gedeckt ist.

7. Die jeweiligen Ansprüche der Mitglieder der vorübergehenden Bedarfsgemeinschaft sind leistungsrechtlich nicht identisch mit denen der ständigen Bedarfsgemeinschaft, so dass die an die ständige Bedarfsgemeinschaft zugewandten Leistungen keine Vorleistungen sind und damit die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB 10 nicht zum Zuge kommt.

8. Der in ständiger Bedarfsgemeinschaft mit den Kindern lebende Elternteil ist gehalten, den Kindern aus tatsächlich zugeflossenem Einkommen (hier Kindergeld und Unterhaltsvorschuss) Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes an den Besuchstagen beim anderen Elternteil zur Verfügung zu stellen. Stehen den Kindern aber tatsächlich diese Mittel nicht zur Verfügung, so droht die Vereitelung des Umgangsrechts, und der Grundsicherungsträger hat das Fehlen der notwendigen "bereiten Mittel" durch Gewährung anteiliger Regelleistungen zu ersetzen. Dabei werden Doppelzahlungen möglichst dadurch zu vermeiden sein, dass die Elternteile sich hinsichtlich der Umgangszeiten festlegen müssen und den jeweiligen Bedarfsgemeinschaften nur entsprechende anteilige Leistungen bewilligt werden.

9. § 23 SGB 2 ist von Konstruktion und Regelungszweck her auf einmalige besondere Bedarfe zugeschnitten und kann nicht auf wiederkehrende Dauerbedarfe angewendet werden (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).

10. Auf der Grundlage des § 73 SGB 12 können nur Fahrkosten im Zusammenhang mit der Ausübung des Umgangsrechts übernommen werden, nicht aber Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 1).

11. Die Rundungsvorschrift des § 41 Abs 2 SGB 2 ist nicht bei der Berechnung von Zwischenschritten (hier Tagessatz) der monatlichen Leistungen anzuwenden.

12. Die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs 3 SGB 2 erfüllt nicht, wer die Kinder "nur" an zwei Wochenenden im Monat und in der Hälfte der Schulferien betreut. Teilen sich - wie hier - die Eltern die Pflege und Erziehung der Kinder, liegt ein anderer Lebenssachverhalt vor als derjenige, den der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 21 Abs 3 SGB 2 vor Augen hatte. Zudem handelt es sich bei der Gewährung des Mehrbedarfes nach § 21 Abs 3 SGB 2 um eine Pauschale, die den Besonderheiten des Einzelfalles nicht hinreichend Rechnung tragen kann und schon deshalb nicht geeignet ist, den verfassungsrechtlichen Anforderungen im Hinblick auf den Schutz des Umgangsrechtes gerecht zu werden (entgegen LSG Celle-Bremen vom 21.6.2007 - L 8 AS 491/05 = NDV-RD 2008, 19).

13. Die Regelungen des SGB 2 lassen eine Erhöhung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts über die gesetzliche Pauschale hinaus nur in den dort ausdrücklich geregelten Fällen zu (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.07.2009; Aktenzeichen B 14 AS 54/08 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger zu 2) bis 4) wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vo...

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