Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Wahrnehmung des Umgangsrechts des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit getrennt lebenden minderjährigen Kindern. sozialgerichtliches Verfahren. keine Einbeziehung in das Verfahren und keine notwendige Beiladung der Kinder. keine notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers. Umgangskosten des nichtsorgeberechtigten Elternteils als Mehrbedarf gem § 21 Abs 3 SGB 2. Darlehen. Umfang der Umgangskosten. zeitweise Bedarfsgemeinschaft. Verfassungskonforme Auslegung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bei zeitweiser Kinderbetreuung. Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers bei möglichem Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 müssen die Ausübung des verfassungsrechtlich garantierten Umgangsrechts ermöglichen. Hierzu ist dem Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung nach § 21 Abs 3 SGB 2 auch für die Kinder zuzubilligen, mit denen er bei Ausübung des Umgangsrechts nur zeitweise zusammenlebt. Umfasst die zeitliche Betreuung mindestens ein Drittel des Jahres, ist der Mehrbedarf in vollem Umfang zu gewähren.

2. Die Gewährung eines Darlehens ist bei ständig wiederkehrenden zusätzlichen Bedarfen nicht zulässig (Aufgabe von LSG Celle-Bremen vom 28.4.2005 - L 8 AS 57/05 ER = FEVS 56, 503 = Breith 2005, 960 und Anschluss an BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).

3. Ein Sozialhilfeträger ist nicht bereits dann notwendig beizuladen, wenn für den gegen einen anderen Sozialleistungsträger geltend gemachten Anspruch auch § 73 SGB 12 (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) als Anspruchsgrundlage in Betracht kommen könnte.

 

Orientierungssatz

1. Werden für minderjährige Kinder wegen des Umgangs mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil keine zusätzlichen Leistungsansprüche geltend gemacht, so kommt eine Einbeziehung der Kinder in das Verfahren nicht in Betracht (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).

2. Die Entscheidung über den (eigenen) Anspruch des nichtsorgeberechtigten Elternteils auf zusätzliche Leistungen für die Ausübung des Umgangsrechts mit seinen minderjährigen Kindern greift nicht unmittelbar in die Rechtssphäre dieser Kinder ein, so dass die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung gem § 75 Abs 2 SGG nicht vorliegen (vgl BSG, aaO).

3. Die Umgangskosten des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit seinen minderjährigen Kindern sind nicht durch die Regelleistung gem § 20 SGB 2 (als in der Regelleistung enthaltenen Anteil für Beziehungen zur Umwelt) abgedeckt. Wegen des höchstpersönlichen Charakters und der engen persönlich-familiären Bindungen zwischen Eltern und Kind fallen diese Umgangskosten nicht in den Bereich der Beziehungen zur Umwelt (vgl BVerwG vom 22.8.1995 - 5 C 15/94 = NJW 1996, 1838).

4. Die Umgangskosten sind weder über eine Erhöhung der Regelleistung nach § 20 SGB 2 noch als unabweisbarer Bedarf über § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 zu erbringen (Abweichung, LSG Celle-Bremen vom 28.4.2005 - L 8 AS 57/05 ER = FEVS 56, 503).

5. Für die Erbringung von zusätzlichen Leistungen für die Ausübung des Umgangsrechts des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit seinen minderjährigen Kindern kann auch nicht § 73 SGB 12 als Hilfe in sonstigen Lebenslagen herangezogen werden (Abweichung, BSG, aaO).

6. Nicht zu den Umgangskosten des nichtsorgeberechtigten Elternteils zählen die regulären Kosten, die stets für das Kind aufgewandt werden müssen, die also Bestandteile von dessen eigenem Natural- und Barunterhaltsanspruch sind.

7. Zum Vorliegen einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft des nichtsorgeberechtigten Elternteils bei Ausübung des Umgangsrechts mit seinen minderjährigen getrennt lebenden Kindern.

 

Normenkette

SGB II § 21 Abs. 3, § 20 Abs. 1 S. 1; SGB II Abs. 2 Fassung 2004-07-30; SGB II § 23 Abs. 1 S. 1; SGB II Abs. 3; SGB II §§ 24, 3 Abs. 3 S. 2, § 11 Abs. 1; Alg II-V a.F. § 3 Nr. 1; SGB XII § 73; GG Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1; SGG § 75 Abs. 2, § 96 Abs. 1, § 99 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17.November 2005 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, anstelle der zugesprochenen 90,00€ höhere Leistungen nach dem SGBII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende in Höhe von 24 vH der Regelleistung des Klägers zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die zweitinstanzlich angefallenen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der dem Kläger in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 zustehenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), insbesondere die Frage, ob bzw in welchem Umfang ihm zusätzliche Leistungen für die Ausübung des Umgangsrechts mit seinen im streitigen Zeitraum minderjährigen Kindern zustehen.

Der 1961 geborene erwerbsfähige Kläger ist seit 1992 geschieden. Er leb...

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