Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Unterbringung in einer betreuten Wohnmöglichkeit. Übernahme der Kosten für eine Nachtwache. untrennbarer Zusammenhang mit der Gesamtmaßnahme

 

Orientierungssatz

Die Kosten für Sicherungsmaßnahmen (hier: Einsatz von Nachtwachen) sind vom Sozialhilfeträger als Teil der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff SGB 12 zu übernehmen, wenn sie in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Gesamtmaßnahme (hier: Unterbringung in einer betreuten Wohnmöglichkeit) stehen und damit integraler Bestandteil der Eingliederungsmaßnahme sind.

 

Normenkette

SGB XII § 19 Abs. 3, §§ 53, 54 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 55 Abs. 2 Nr. 6; WBVG § 7 Abs. 2, § 9 Abs. 1, § 15

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.09.2014; Aktenzeichen B 8 SO 8/13 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 10.09.2010 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Bescheide vom 21.01.2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12.03.2009 verurteilt, die Kosten für nächtliche Sitzwachen für den Kläger zu 1) in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum 07.12.2010 und die Kosten für nächtliche Sitzwachen für den Kläger zu 2) in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum 16.10.2010 dem Grunde nach zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die zusätzliche Übernahme der Kosten für Nachtwachen zur Beaufsichtigung der Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gem. §§ 53 ff. SGB XII.

Die im Jahre 1986 geborenen Kläger sind Zwillingsbrüder. Sie sind beide nahezu gehörlos und leiden an Minderbegabung, einem Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom sowie einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Die Kläger stehen unter gesetzlicher Betreuung. Betreuerin ist ihre Mutter.

Die Kläger hatten vor Aufnahme in eine stationäre Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Landkreis U. Dort wurden sie zuerst in einen Schulkindergarten, später dann in den Schulbereich der M-schule I, einer Staatlichen Heimsonderschule für Kinder und Jugendliche als stationäre Einrichtung, aufgenommen. Am 09.09.2002 verließen sie auf Grund des Umzugs der Mutter aus dem Landkreis U nach Nordrhein-Westfalen die Einrichtung und wohnten im westfälischen Schülerinternat N. Am 23.07.2005 erfolgte die Aufnahme in das Wohnheim "Haus X" der Beigeladenen, deren Werkstatt für Behinderte sie ab Mitte September 2004 besuchten. Die Beigeladene hielt von dem dort erzielten Einkommen der Kläger deren Eigenanteil nach Maßgabe von § 88 Abs. 2 SGB XII ein. Die Kläger verfügten über kein Vermögen. Sie erhielten jeweils eine Gehörlosenbeihilfe von monatlich 77 Euro.

Die Kosten im Übrigen übernahm der Beklagte.

Am 17.04.2006 vergewaltigten sie gemeinschaftlich eine Mitbewohnerin. Nach Bekanntwerden der Tat wurden die Kläger zunächst für mehrere Wochen in der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in N untergebracht. Im Juni 2006 kehrten beide - nunmehr getrennt - in Wohnheime der Beigeladenen zurück: Der Kläger zu 1) in die Einrichtung "Haus H", der Kläger zu 2) in die Einrichtung "H1". Zugleich waren die Kläger in von der Beigeladenen getragenen Behindertenwerkstätten tätig: Der Kläger zu 1) in einer Schreinerei, der Kläger zu 2) zunächst im gärtnerischen Bereich und dann in einer Wäscherei.

Zum Schutz der Mitbewohnerinnen richtete die Beigeladene jeweils zusätzliche Nachtwachen vor den Zimmern der Kläger ein, welche in den Nachtstunden von 22:00 Uhr bis 06:30 Uhr das unbeaufsichtigte Verlassen der Zimmer durch die Kläger verhindern sollten. Mit Schreiben an die Beigeladene vom 21.06.2006 sagte der Beklage die Übernahme der Unterbringungskosten auf Grundlage des Leistungstyps 10 (Menschen mit geistiger Behinderung und hohem sozialem Integrationsbedarf, etwa wegen schwieriger Persönlichkeitsstruktur und Verhaltensauffälligkeiten) und der (höchsten) Hilfebedarfsgruppe 3 nach der zwischen dem Beigeladenen und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung zu. Den Antrag der Beigeladenen auf Übernahme zusätzlicher Kosten, wie u.a. derjenigen der Nachtwache, lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 02.07.2007 zunächst ab. Nach Beteiligung des LWL und Überprüfung des Betreuungssettings vor Ort durch dessen Mitarbeiter erklärte sich der Beklagte mit Schreiben vom 16.01.2008 gegenüber der Beigeladenen sodann doch zur Übernahme eines vergütungstäglichen Zuschlages in Höhe von 26,11 EUR für Q sowie in Höhe von 23,05 EUR für P zur Abgeltung der zusätzlichen Personalkosten für die Nachtwachen für die Zeit vom 01.06.2006 bis zum 31.05.2008 bereit.

Mit Urteil vom 18.04.2008 lehnte das Amtsgericht N den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung der Kläger in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB ab, da eine Wiederholung der Tat nach Einschätzung des vom Gericht beauftragten Sachverständigen Dr. G möglich, aber eher unwahrscheinlich und die Unterbringung in eine...

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