Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Zuflusstheorie. Steuererstattung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zur Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sind auch die aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe) entwickelten Grundsätze übertragbar.

2. Danach ist Einkommen alles das, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazuerhält, Vermögen ist dagegen das, was er bei Beginn eines Zeitraums bereits hat (sog. Zuflusstheorie).

3. Eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete, noch nicht erfüllte Forderung stellt einen wirtschaftlichen Wert dar und gehört deshalb, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht, zu seinem Vermögen.

 

Orientierungssatz

Die Erstattung von Einkommensteuer durch das Finanzamt wird als Einkommen iS von § 11 SGB 2 angesehen. Die aus der Rechtsprechung des BVerwG zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens ergangenen Grundsätze sind auf die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB 2 übertragbar (vgl BVerwG vom 18.2.1999 - 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 296).

 

Normenkette

SGB II § 11 Abs. 1, § 12

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.09.2008; Aktenzeichen B 4 AS 29/07 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 19.07.2006 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) ab 01.03.2005, die Erstattung für März bis Mai 2005 und die Ablehnung der Leistung von Juli 2005 bis Februar 2006. Im Vordergrund steht die Frage, ob eine Steuererstattung als Einkommen oder als Vermögen zu behandeln ist.

Die Beklagte hatte den Klägern mit Bescheid vom 08.12.2004 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 in Höhe von 541,32 EUR monatlich zuerkannt. Sie war dabei von einem Bedarf von 1.094,65 EUR ausgegangen und hatte vom Einkommen der Klägerin 553,33 EUR angerechnet.

Am 18.03.2005 erhielten die Kläger 5.090,35 EUR als Einkommenssteuererstattung für das Jahr 2004 vom Finanzamt M auf ihr Konto überwiesen. Der Kläger zu 1) teilte dies der Beklagten am 21.03.2005 mit und gab an, dass er von dem Betrag 4.000,00 EUR abgehoben habe, um private Schulden bei seiner Schwester abzuzahlen. Sie habe ihm vor zwei Jahren diesen Betrag geliehen, damit er sich nach einem Unfall ein neues Auto kaufen konnte. Von dem Restbetrag sei sein Konto ausgeglichen worden.

Mit Bescheid vom 29.03.2005 hob die Beklagte die Bewilligung von der Leistung mit Wirkung ab 01.03.2005 auf. Sie berief sich auf § 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X. Die in den Monaten März und April 2005 zu viel erbrachte Leistung in Höhe von 1.082,64 EUR forderte sie zurück. Es wurde ausgeführt, aufgrund der Steuererstattung sei es offensichtlich, dass die Kläger den Lebensunterhalt bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes selbst sicherstellen könnten. Mit weiteren Bescheid vom 22.07.2005 lehnte die Beklagte die Weitergewährung der Leistung ab Juli 2005 ab. Aufgrund der gezahlten Steuererstattung sei es den Klägern möglich, ihren Bedarf zumindest in den nächsten 786 Tagen aus eigenen Kräften und Mitteln sicher zu stellen.

Gegen beide Bescheide legten die Kläger Widerspruch ein. Sie trugen vor das Geld habe den Klägern nicht zu Verfügung gestanden, da damit Schulden beglichen worden seien. Im Übrigen würde die Leistungsbewilligung zur Befreiung von vielen Zahlungsverpflichtungen führen,, wie der Zahlung der Rundfunkgebühren, der Hundesteuer, der Praxisgebühr und der Arzneimittelzuzahlung. Auch wäre eine Reduzierung der Telefongebühren damit verbunden. Es wurde eine Bestätigung von Frau I N vorgelegt, worin diese bestätigt, dass sie am 19.03.2005 vom Kläger zu 1) 4.000,00 EUR als Rückzahlung für ein Darlehen erhalten habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2006 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Steuererstattung Einkommen gem. § 11 Abs. 1 SGB II sei. Bei der Steuererstattung handele sich es um eine einmalige Einnahme. Gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 der Alg II-Verordnung seien einmalige Leistungen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift (Fassung ab 01.01.2005) sollten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zahl von ganzen Tagen nicht erbracht werden, die sie unter Berücksichtigung der monatlichen Einnahmen nach Abzug von Freibeträgen und Absetzbeträgen bei Teilung der Gesamteinnahmen durch den ermittelten täglichen Bedarf einschließlich der zuzahlenden Beiträge für eine freiwillige Weiterversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung ergeben. Bei der Steuererstattung handele es sich um eine solche einmalige Einnahme. Nach der sogenannten Zuflusstheorie seien Einkommen alle Einnahmen...

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