Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Gesamtvergütung. keine Auskehrung infolge nicht nachgewiesener Fortbildung einbehaltener Honorare an die Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Die in § 95d Abs 3 SGB 5 normierte Honorarkürzung hat keinen Bezug zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung hat.

2. § 95d SGB 5 enthält kein Leistungs- und Abrechnungsverbot.

3. Die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen sind nicht verpflichtet, das nach § 95d Abs 3 SGB 5 einbehaltene Honorar an die Krankenkassen auszukehren. Infolgedessen hat die Krankenkasse keinen hierauf gerichteten Anspruch (Gegenforderung). Eine Rückerstattung scheidet mangels Aufrechnungslage aus.

4. Die der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung auferlegte Pflicht, das an den Vertragszahnarzt zu zahlende Honorar infolge nicht nachgewiesener Fortbildung zu kürzen, stellt eine Disziplinarmaßnahme sui generis dar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.06.2018; Aktenzeichen B 6 KA 60/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 26.01.2015 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 103.809,82 EUR zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte mit einem Erstattungsanspruch in Höhe von 103.809,82 EUR gegen den Anspruch der Klägerin auf die zweite Honorarabschlagszahlung für das IV. Quartal 2012 wirksam aufgerechnet hat.

Mit Schreiben vom 22.12.2011 wies die Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen in Westfalen-Lippe die Klägerin darauf hin, dass nach den ihr vorliegenden Informationen im Zeitraum vom 01.07.2004 bis zum 30.06.2009 48 Vertragszahnärzte ganz und sieben teilweise ihrer gesetzlichen Pflicht zur Fortbildung gemäß § 95d Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht nachgekommen seien. Die Klägerin möge mitteilen, ob und wie sie die gesetzlich vorgesehenen Konsequenzen nicht ordnungsgemäßer Fortbildung (Honorarkürzungen, Nachholung der Fortbildungen, Entziehung der Zulassung) umgesetzt habe. In diesem Zusammenhang gegebenenfalls für die einzelnen Krankenkassen bestehende Ansprüche würden dem Grunde nach geltend gemacht. Die Klägerin wandte ein, ihr lägen andere Zahlen vor, sie bitte darum mitzuteilen, woher die genannten Zahlen stammten. Es sei nicht ersichtlich, dass den Krankenkassen in diesem Zusammenhang Ansprüche zustünden und worauf das Informationsbegehren gestützt werde (Schreiben vom 05.01.2012). Hierauf erklärte die Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen, die Zahlen den Veröffentlichungen der Klägerin im Zahnärzteblatt Westfalen-Lippe entnommen zu haben. Soweit die Klägerin Honorar gegenüber Vertragszahnärzten wegen Nichterfüllung der Fortbildungsverpflichtung einbehalten habe, sei die von den Krankenkassen geleistete Gesamtvergütung zu hoch. Die sich daraus ergebenden Ansprüche würden geltend gemacht (Schreiben vom 06.02.2012).

Die Klägerin lehnte es ab, das wegen nicht (vollständig) erbrachter Fortbildungsnachweise einbehaltene Honorare an die Krankenkassen auszukehren (Schreiben vom 06.03.2012). Die pauschalierten Honorarkürzungen seien nicht nur ein Abschlag für schlechtere Qualität der ärztlichen Leistung, sie hätten auch eine disziplinierende Funktion. Es gehe im Übrigen nur um das an den einzelnen Zahnarzt (nicht) abzuführende Honorar. Auswirkungen auf die Gesamtvergütung oder gar Rückerstattungsansprüche ergäben sich nicht.

Die Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen wandte ein (Schreiben vom 02.04.2012): Im Ergebnis würde die Klägerin Geldbeträge für sich behalten, die aus nicht weitergeleiteten (Gesamt-) Honorarzahlungen der Krankenkassen stammten. Einer gesetzlichen Bestimmung, die ausdrücklich die Weiterleitung des gekürzten Honorars an die Krankenkassen vorsehe, bedürfe es nicht. Die Krankenkassen müssten für die vom Gesetzgeber aufgrund fehlender Fortbildung unterstellte schlechtere Qualität nicht zahlen. Für die weitere Vorgehensweise möge die Klägerin Vorschläge unterbreiten. Mit Schreiben vom 06.08.2012 erinnerte die Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Krankenkassen an die Beantwortung ihres Schreibens. Mit weiterem Schreiben vom 19.11.2012 teilte sie mit, dass in den Quartalen III/2009 bis IV/2011 auf Basis der von der Klägerin veröffentlichten Zahlen ein Betrag von ca. 2,6 Millionen EUR nicht an die Vertragszahnärzte ausgezahlt worden sei. Diese Summe würden die Krankenkassen nunmehr gegen Forderungen der Klägerin aufrechnen. Wegen der kassenindividuellen Höhe der Aufrechnung werde man sich an den Werten der Mitgliederstatistik KM6 für Westfalen-Lippe orientieren.

Die Beklagte meldete sich erstmals mit Schreiben vom 20.11.2012 bei der Klägerin. Sie nahm auf das Schreiben der Verbände der Krankenkassen vom 19.11.2012 Bezug und wies darauf hin, dass sich der prozentuale Anteil ihrer Mitglieder in Westfalen-Lippe auf 28,04% aller zum 01.07.2011 Versicherten belaufe. Dementsprechend werde gegen die nächste Forderung der Klägerin mit einem Betrag i....

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