Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenübernahme. operative Entfernung einer Bauchschürze. Genehmigungsfiktion. Gleichheitssatz. Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 13 Abs 3a SGB 5 bei materieller Rechtswidrigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zur Kostenübernahme der operativen Entfernung einer Bauchfettschürze.

2. Art 3 Abs 1 GG gebietet nicht, der Genehmigungsfiktion auch eine Sachleistungs- bzw Naturalleistungsansprüche begründende Wirkung beizumessen (entgegen LSG Essen vom 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER = juris RdNr 7 mwN).

3. Fiktive Verwaltungsakte, sofern gesetzlich nichts Abweichendes geregelt ist, sind der Aufhebung zugänglich; insbesondere eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB 10 bei materieller Rechtswidrigkeit kommt in Betracht. Die Anwendung des § 45 SGB 10 entwertet nicht den mit dem Gesetz verfolgten Beschleunigungseffekt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.11.2017; Aktenzeichen B 1 KR 24/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 24.02.2016 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse (Beklagte) die Gewährung der operativen Entfernung einer Bauchfettschürze.

Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie beantragte am 17.12.2013 unter Vorlage eines Schreibens des G-Krankenhauses, Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie, vom selben Tag die Gewährung einer so genannten Abdominoplastik bei der Diagnose Cutis laxa abdominis ("schlaffe Bauchhaut"). In dem Schreiben wird weiter ausgeführt, die Klägerin habe im Verlauf von zwei Jahren 50 kg an Gewicht verloren. Zudem leide sie in der Folge eines Kaiserschnitts vor ca. 19 Jahren unter einem Taubheitsgefühl der Haut zwischen Bauchnabel und der verbliebenen Narbe. Infolge der Gewichtsreduktion und der darauf zurückzuführenden Hauterschlaffung im Bauchbereich komme es in Kombination mit diesem Taubheitsgefühl zu Einklemmungen der Haut, die von der Klägerin nicht bemerkt würden. In der Umschlagsfalte neige sie besonders in den Sommermonaten zu wunder Haut. Bei der klinischen Untersuchung zeige sich eine ca. 3 cm breit aufliegende Hautfettschürze. Es werde die Durchführung einer Abdominoplastik unter stationären Bedingungen empfohlen. In einer ebenfalls bei Antragstellung vorgelegten fachärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Nervenheilkunde, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. L aus H vom 15.11.2013 wird nach ambulanter Vorstellung der Klägerin am 14.11.2013 ausgeführt, diese leide ob ihres Aussehens unter depressiven Verstimmungszuständen. Psychopathologisch und testpsychologisch habe eine eigenständige psychiatrische Komorbidität ausgeschlossen werden können. Insbesondere liege keine Dysmorphie (Fehlbildung) vor. Schließlich hielt die Internistin Dr. G in einem Attest vom 12.11.2013 unter Verweis auf den behandelnden Psychiater und Chirurgen eine Fettschürzenoperation für erforderlich.

Unter dem 19.12.2013 erbat die Beklagte eine medizinische Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes (SMD). Die Klägerin wurde unter dem 08.01.2014 darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Einschaltung des SMD notwendig sei und, sobald dessen Rückmeldung vorliege, schnellstmöglich über den Antrag entschieden werde. Mit Schreiben vom 20.01.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine Untersuchung durch den SMD habe noch nicht stattgefunden. Sobald Untersuchungsergebnisse vorlägen, werde schnellstmöglich über den Antrag entschieden. Die sozialmedizinische Stellungnahme vom 30.01.2014 ging bei der Beklagten am 04.02.2014 ein. Bei der Untersuchung habe sich im Bereich des Bauches eine ubiquitäre Hauterschlaffung gefunden, wobei die schlaffen Hautanteile geringfügig oberhalb des Mons pubis (Schamhügel) überlappten mit darunter vollständig intakter Haut. Die Hauterschlaffung lasse sich durch Bekleidung in vollem Umfang kaschieren. Dies betreffe auch Badebekleidung im Sinne eines Badeanzugs. Irgendwelche Hautirritationen durch die geringfügige Überlappung der schlaffen Hautanteile oberhalb des Mons pubis lägen nicht vor. Auch darüber hinaus bestünden keine Körperfunktionsstörungen durch die Hauterschlaffung. Daher könne eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden. Die Versicherte habe sich enttäuscht gezeigt. Auch in einem etwaigen Widerspruchsverfahren werde keine andere Beurteilung erfolgen. Zur Begründung werde auf die Vorgaben des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) zur Beurteilung der Bauchfettschürzenplastik zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verwiesen.

Mit Bescheid vom 10.02.2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Nach den Ausführungen des SMD sei der Eingriff medizinisch nicht indiziert, sondern solle aus ästhetischen Gründen erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme nicht jeder körperlichen U...

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