Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Beschluss über die beantragte Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit

 

Orientierungssatz

1. Zwar können nach dem Wortlaut des § 172 Abs. 2 SGG Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Hierzu zählt ein Beschluss über die beantragte Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit. Unter systematischen Gesichtspunkten stellt § 172 Abs. 2 SGG eine Ausnahmevorschrift dar. Sie ist damit nicht geeignet, § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 HS. 2 ZPO zu verdrängen. Vielmehr sprechen Wortlaut, Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte entgegen der Gesetzesbegründung für eine Beschwerdemöglichkeit nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO.

2. Für die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit kommt es darauf an, ob ein Grund vorliegt, der den Antragsteller von seinem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben befürchten lassen könnte, der von ihm abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden, vgl. BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2010 - B 4 AS 97/10 B.

3. Unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen oder Tatsachenausführungen eines Richters sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Vielmehr müssen objektive Gründe dafür dargetan werden, die dafür sprechen, dass eine mögliche Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten beruht oder willkürlich i. S. einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit ist, vgl. BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2010 - B 4 AS 97/10 B.

4. Ob und inwieweit ein gestellter Beweisantrag auf eine entscheidungserhebliche Tatsache abzielt, unterliegt der Einschätzung des Richters. Kommt dieser zu der Auffassung, dass dem Antrag nicht stattgegeben werden muss, so ist eine Besorgnis der Befangenheit nicht gegeben. Die Entscheidung des Richters kann statt dessen im Rechtsmittelzug überprüft werden.

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 25.05.2012 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 11.11.2010 hat die Klägerin, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage mit dem Ziel erhoben, Hinterbliebenenleistungen infolge einer Berufskrankheit ihres verstorbenen Ehemannes zu erhalten. Unter dem 21.01.2011 wies der Kammervorsitzende u.a. daraufhin, dass der Sachverhalt ausreichend geklärt erscheine und es nicht beabsichtigt sei, von Amts wegen ein Gutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einzuholen. Auf den hierauf gestellten Antrag, Prof. Dr. X zum Sachverständigen zu ernennen, erging nach § 109 SGG die Beweisanordnung vom 28.03.2011. Das Gutachten ging dem SG am 13.12.2011 zu. Der Sachverständige kam zum Ergebnis, dass bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin keine Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4104 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorlag. Die Klägerin erklärte auf Befragen, die Klage aufrecht zu erhalten und regte an, ein pathologisches Gutachten nach § 106 SGG einzuholen. Hierauf teilte der abgelehnte Richter mit, dass dies nicht beabsichtigt sei (Verfügung vom 12.01.2012). Unter dem 13.02.2012 verfügte er ferner:

"In pp. wird rein vorsorglich darauf hingewiesen, dass mit der Auferlegung vom Kosten gemäß § 192 SGG gerechnet werden muss. Die Sache hat keine Aussicht auf Erfolg, nachdem das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten nicht im Sinne der Klägerin ausgefallen ist."

Die Klägerin merkte an, die Suche nach einem Primärtumor in der Lunge können nicht mit Kosten bestraft werden; sie beantrage ein Gutachten nach § 106 SGG von Prof. Dr. N einzuholen (Schreiben vom 14.03.2012). Ebenfalls unter 14.03.2012 wies der abgelehnte Richter die Beteiligten darauf hin, dass beabsichtigt sei, gemäß § 105 SGG zu entscheiden. Hierauf entgegnete die Klägerin (Schriftsatz vom 05.04.2012):

"In dem Rechtsstreit wird der Hinweis auf § 192 SGG bei diesem unklaren Fall als nicht gehörig angesehen. Es kann nicht sein, dass es Richterpraxis wird quasi aufgrund eines Kartells, dass bei negativem Ausgang eines 109-er Gutachtens Mutwillenskosten angedroht werden, obwohl noch eine zweite Tatsacheninstanz hier offen steht. Für den Fall, dass der Hinweis nach § 192 SGG aufrecht erhalten bleibt, wird der Richter L wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Grund ist die Befürchtung, dass hier eine wertfreie Entscheidung nicht mehr zu erwarten steht. Dem richterlichen Kartell wie bezeichnet wird entschieden widersprochen. Es kommt auf den Einzelfall an und nicht auf eine Verfahrenskonstellation, wie dies gleichwohl praktiziert wird von der Sozialgerichtsbarkeit. Die zweite Instanz, die angestrebt ist, darf auch nicht negativ vom Vorderrichter der ersten Instanz vorweggenommen werden. Überdies ist der Beweisantrag zur Abklärung der Situierung des Primärtumor durch pathologisches Sachverständigengutachten vom Prof. N nach § 106 SGG noch offen."

U...

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