Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Verpflichtungen anderer. Rechtmäßigkeit der Überleitung eines Vermächtnisanspruchs auf den Sozialhilfeträger. Überleitung zum Zweck der Ausschlagung des Vermächtnisses und der anschließenden Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. keine Überleitungsfähigkeit höchstpersönlicher Ansprüche

 

Orientierungssatz

1. Grundsätzlich kann jede Art von Anspruch Gegenstand einer Überleitung nach § 93 SGB 12 sein, wobei unerheblich ist, ob der übergeleitete Anspruch dem privaten oder öffentlichen Recht zugehört. Nicht überleitungsfähig sind jedoch höchstpersönliche Ansprüche.

2. Es ist zweifelhaft und in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht geklärt, ob der Sozialhilfeträger einen grundsätzlich überleitungsfähigen Vermächtnisanspruch auch dann nach § 93 SGB 12 auf sich überleiten kann, wenn dieser Anspruch lediglich zu dem Zweck übergeleitet wird, das Vermächtnis auszuschlagen und nachfolgend Pflichtteilsansprüche geltend zu machen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 28.09.2011 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Münster ab dem 22.10.2010 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin C, I, beigeordnet.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt mit seiner Beschwerde Prozesskostenhilfe für ein Verfahren vor dem Sozialgericht, in dem die Überleitung eines Vermächtnis- und Pflichtteilsanspruchs streitig ist.

Der im Juni 1955 geborene Kläger ist geistig behindert, stationär untergebracht und bezieht von dem Beklagten seit Mai 1965 Sozialhilfe in Form von Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Die täglichen Kosten für seine Unterbringung belaufen sich auf ca. 130,00 Euro.

Die Eltern des Klägers errichteten unter dem 20.04.1998, ergänzt am 09.11.1999, ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten und dem Kläger nach dem Tod des Erstversterbenden u.a. 1/6 des Nachlasses des Erstversterbenden vermachten. Gleichzeitig ordneten sie - neben einem Nachvermächtnis zugunsten der Geschwister des Klägers bzw. deren Kinder sowie Testamentsvollstreckung - an, dass der Vermächtnisanspruch mit dem Tod des Letztversterbenden fällig werde.

Nach Versterben des Vaters des Klägers im Oktober 2005 leitete der Beklagte den Anspruch des Klägers gegenüber seiner Mutter auf Zahlung des Pflichtteils aus dem Nachlass seines Vaters durch Bescheid vom 26.05.2009 mit Wirkung vom 01.10.2008 unter Ausübung des ihm insoweit zustehenden Ermessens bis zur Höhe seiner Aufwendungen gemäß § 93 SGB XII auf sich über. Zugleich schlug er das mit Testament vom 20.04.1998 verfügte Vermächtnis gegenüber der Mutter des Klägers nach § 2307 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus. Insoweit führte er zur Begründung aus, mit der Überleitung des Pflichtteilsanspruchs sei akzessorisch auch der Anspruch auf Ausschlagung des erhaltenen Vermächtnisses auf ihn übergegangen.

Auf den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch des Klägers hob der Beklagte den Bescheid vom 26.05.2009 mit weiterem Bescheid vom 14.04.2010 auf und leitete nunmehr den Vermächtnisanspruch des Klägers "zum Zwecke der Ausschlagung des Vermächtnisses und Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen" sowie vorsorglich auch die Pflichtteilsansprüche gemäß § 93 SGB XII bis zur Höhe seiner Aufwendungen ab dem 08.10.2005 auf sich über. In den Gründen führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass eine Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII nach der Rechtsprechung der Verwaltungs- und Sozialgerichte schon dann rechtmäßig sei, wenn der übergeleitete Anspruch - wie hier - nicht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen, die Überleitung selbst also nicht erkennbar sinnlos sei (sog. Grundsatz der Negativ-Evidenz). Im Rahmen des Ermessens verwies der Beklagte darauf, dass dem öffentlichen Interesse, den Nachrang der Sozialhilfe wieder herzustellen, ein so hohes Gewicht zukomme, dass private Belange in der Regel zurückstehen müssten. Besondere Umstände, die der Überleitung entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Ferner schlug der Beklagte den übergeleiteten Vermächtnisanspruch erneut aus und forderte den Kläger zur Auszahlung des Pflichtteils auf.

Den gegen diesen Bescheid am 12.05.2010 erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2010, der Bevollmächtigten des Klägers am 22.09.2010 zugegangen, zurück.

Dagegen hat der Kläger am 20.10.2010 bei dem Sozialgericht Münster Klage erhoben und zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten beantragt. Er vertritt im Wesentlichen die Auffassung, die erfolgte Überleitung des Vermächtnisanspruchs ausschließlich zum Zwecke der Ausschlagung des Vermächtnisses sei erkennbar sinnlos und damit offensichtlich rechtswidrig; denn das Recht auf Ausschlagung des Vermächtnisses könne nach ständiger Rechtsprechung, auf die insoweit maßgeblich abzustellen sei, als ...

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