Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Klageerhebung. unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid. Jahresfrist

 

Orientierungssatz

1. Eine Klage ist nicht verfristet erhoben, wenn zwar der Widerspruchsbescheid mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden ist aber statt der Monatsfrist des § 87 Abs 1 SGG die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG Anwendung findet, weil die Belehrung über die Einlegung des Rechtsbehelfs im Widerspruchsbescheid unrichtig iS von § 66 Abs 2 S 1 SGG erteilt worden ist.

2. Eine Belehrung ist nur dann vollständig, wenn sie auch darauf hinweist, dass die Klage bei dem zuständigen Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichts zu erheben ist. Diese beiden Formen der Klageerhebung sind in § 90 SGG dem Kläger wahlweise zur Verfügung gestellt. Deshalb muss er auch darüber unterrichtet werden, dass es für ihn zwei Möglichkeiten gibt, die Klage formgerecht zu erheben (vgl BSG vom 11.2.1958 - 10 RV 123/56 = BSGE 7, 1).

3. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht nur dann fehlerhaft, wenn sie die zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es auch dann, wenn ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzubringen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf einzulegen bzw rechtzeitig einzulegen (vgl BVerwG vom 13.12.1978 - 6 C 77/78 = BVerwGE 57, 188).

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat mit Beschluss vom 04.02.2009 ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens unter Beiordnung ihres prozessbevollmächtigten Rechtsanwaltes zu Unrecht abgelehnt.

1. Prozesskostenhilfe wird nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) nur gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint; der Kläger oder die Klägerin muss ferner nicht in der Lage sein, die Kosten der Prozessführung ganz, zum Teil oder in Raten aufzubringen.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin ist nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Ihre Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a) Die am 28.03.2007 erhobene Klage der Klägerin war nicht verfristet. Zwar ist ihr der Widerspruchsbescheid vom 13.02.2007 mit Postzustellungsurkunde am 16.02.2007 zugestellt worden. Statt der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 SGG kommt im vorliegenden Fall jedoch die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG zur Anwendung. Grund hierfür ist, dass die Belehrung über die Einlegung des Rechtsbehelfs im Widerspruchsbescheid vom 13.02.2007 unrichtig erteilt worden war gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG.

aa) Die Regelung des § 85 Abs. 3 Satz 4 SGG ordnet an, dass in dem Widerspruchsbescheid die Beteiligten "über die Zulässigkeit der Klage, die einzuhaltende Frist und den Sitz des zuständigen Gerichts" zu belehren sind. Über diese Punkte hat die Beklagte die Klägerin in dem Widerspruchsbescheid vom 13.02.2007 zutreffend belehrt.

bb) Gleichwohl ist die Belehrung in dem Widerspruchsbescheid vom 13.02.2007 unrichtig im Sinne des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn die Beklagte hat die Klägerin über die Form der Klageerhebung unrichtig belehrt.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat zu der Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung auch über die Form der Klageerhebung zu belehren hat, folgendes ausgeführt: "Weder § 66 Abs. 1 noch § 85 Abs. 3 SGG erfordern nach ihrem Wortlaut eine Belehrung darüber, in welcher Form der zulässige Rechtsbehelf anzubringen ist. In beiden Fällen ist aber aus dem Zweck der vorgeschriebenen Belehrung zu schließen, welchen Mindestinhalt sie haben muss. Eine Belehrung über die Zulässigkeit der Klage ist nur dann sinnvoll, wenn der Beteiligte dadurch in den Stand versetzt wird, alles zu tun, was von seiner Seite aus nötig ist, damit er eine Klage rechtswirksam erheben kann" (BSG, Urteil vom 11.02.1958, 10 RV 123/56, BSGE 7, 1, 2)". Eine Belehrung ist nach der Rechtsprechung des BSG nur dann vollständig, "wenn sie auch darauf hinweist, dass die Klage bei dem zuständigen Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichts zu erheben ist. Diese beiden Formen der Klageerhebung sind in § 90 SGG dem Kläger wahlweise zur Verfügung gestellt. Aus ihrer Verbindung mit dem Wort "oder" ergibt sich, dass das Gesetz keiner von ihnen den Vorzug vor der anderen geben will und dass der Kläger selbst zwischen ihnen frei wählen darf. Deshalb muss er auch darüber unterrichtet werden, dass es für ihn zwei Möglichkeiten gibt, die Klage formgerecht zu erheben. Soweit in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid ein Hinweis auf die eine oder andere Möglichkeit fehlt, ist die notwendige Belehrung unterblieben...

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