Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. einstweiliger Rechtsschutz bei Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Arbeitsentgelt. Abgrenzungskriterien einer abhängigen Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit und einer abhängigen Beschäftigung von familiärer Mithilfe. Vorliegen eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses

 

Orientierungssatz

1. Gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge.

2. Da § 86a Abs 2 Nr 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür ist maßgebend, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht.

3. Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs 1 S 1 SGB 4 alle Einnahmen, die dem Versicherten im ursächlichen Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen.

4. Die Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit erfolgt nach dem Überwiegen der entsprechenden Merkmale: Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 4 sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

5. Abgrenzungskriterien zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und familiärer Mithilfe sind der Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages, die Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb und ein - gegebenenfalls abgeschwächtes - Weisungsrecht des Arbeitgebers, die Verbuchung des Arbeitsentgelts als Betriebsausgabe, ob es dem Angehörigen zur freien Verfügung ausgezahlt wird und ob dieser eine fremde Arbeitskraft ersetzt.

6. Nach Sinn und Zweck des § 14 Abs 2 S 2 SGB 4 ist eine illegale Beschäftigung in allen Fällen anzunehmen, in denen der Arbeitgeber seine Verpflichtung, Meldungen zu erstatten (§§ 28a Abs 1, 111 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 4) und Beiträge für die Beschäftigten zu zahlen (§§ 28e Abs 1 SGB 4, 266 StGB) bewusst verletzt.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.8.2010 geändert. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.12.2009 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert für das Antrags- und Beschwerdeverfahren wird auf je 3.839,11 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen einen Bescheid über die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung.

Der Antragsteller betreibt in I die Vermittlung von Versicherungen, Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen. Seit dem 1.1.1994 beschäftigt er seine Ehefrau - in den Jahren 2005 bis 2007 versicherungspflichtig im Rahmen der sog. "Gleitzone" - als Bürogehilfin. Am 15.11.2004 schlossen die Eheleute einen so bezeichneten "Untervertreter-Vertrag", wonach die Ehefrau des Antragstellers für diesen als selbstständige Handelsvertreterin tätig werden und dafür Provisionszahlungen erhalten sollte. In der Folgezeit erbrachte der Antragsteller an seine Ehefrau neben dem Arbeitsentgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis weitere Zahlungen, die als Provisionen für die Vermittlung diverser Versicherungen und Bausparverträge deklariert und für die keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt wurden.

Auf der Grundlage eines Vertrages vom 31.1.2005 war Frau S bei dem Antragsteller ab dem 1.2.2005 zunächst geringfügig beschäftigt. In der Zeit vom 1.7.2005 bis 30.6.2007 betrieb sie das angemeldete Gewerbe der Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen auf Provision. Hierfür gewährte ihr die Bundesagentur für Arbeit einen Existenzgründungszuschuss gem. § 421 I Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Mit Bescheid vom 24.8.2005 stellte die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die Versicherungspflicht von Frau S nach § 2 Satz 1 Nr. 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab dem 1.7.2005 fest. Auf der Grundlage weiterer mit dem Antragsteller geschlossener Arbeitsverträg...

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