Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Bestimmung der billigen anwaltlichen Gebühr. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nach § 56 RVG. Verfahrensgebühr. Bewertung der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Routinefall. Terminsgebühr. weit unterdurchschnittliche Terminsdauer. Einigungsgebühr. Abgrenzung zwischen Anerkenntnis und Prozessvergleich

 

Orientierungssatz

1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nach § 56 Abs 2 RVG ist die gesamte Kostenfestsetzung, nicht nur die einzelne Gebühr, gegen deren Versagung bzw Bemessung sich die Beschwerde richtet (vgl LSG Essen vom 30.9.2015 - L 19 AS 1453/15 B; LSG Erfurt vom 9.12.2015 - L 6 SF 1286/15 B und vom 15.4.2015 - L 6 SF 331/15 B). Die Überprüfung wird allerdings ggf durch den Antrag des Rechtsanwalts und das Verbot der "reformatio in peius" begrenzt (vgl ua LSG Essen vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B, vom 22.8.2011 - L 19 AS 634/10 B und vom 16.5.2012 - L 19 AS 250/10 B).

2. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kann gerade noch vertretbar als durchschnittlich im Sinne der Bearbeitung eines Routinefalles bewertet werden (zu diesem Maßstab vgl BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R = BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2). Als Routinefall auf dem Gebiet des Sozialrechts ist die Darlegung eines Anspruchs auf Leistungen mittels Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsvorschriften, aber ohne umfangreichere Beweiswürdigung und eingehende Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur zu werten.

3. Im Vergleich zu einer durchschnittlichen Terminsdauer von 30 bis 50 Minuten im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine Terminsdauer von 17 Minuten weit unterdurchschnittlich.

4. Kein Anerkenntnis, sondern ein Prozessvergleich liegt vor, wenn sich die Beteiligten dahingehend geeinigt haben, dass die Kläger den Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung der Beschwerdeführerin im Widerspruchsverfahren im gerichtlichen Verfahren nicht weiterverfolgen, also die Klage zurücknehmen, und der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen die ablehnende Entscheidung übernimmt. Denn dies stellt ein gegenseitiges Nachgeben iS von § 54 Abs 1 SGB 10 dar. Auch ein Nachgeben in verfahrensrechtlichen Positionen, wie die Rücknahme einer Klage oder eines Widerspruchs, wird von Abs 1 jedenfalls dann erfasst, wenn dadurch eine weitergehende materielle Rechtsposition nicht mehr aufrechterhalten wird (vgl BSG vom 17.5.1989 - 10 RKg 16/88 = SozR 1500

§ 101 Nr 8).

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.06.2016 geändert. Die Vergütung wird auf 166,41 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung streitig.

Die Beschwerdeführerin vertrat die drei Kläger in den Widerspruchsverfahren xxx, das den Bescheid vom 04.09.2014 zum Gegenstand hatte, und xxx, das den Änderungsbescheid vom 01.12.2014 zum Gegenstand hatte. Unter dem 08.01.2015 erließ der Beklagte einen Abhilfebescheid, in dem er u.a. die Kosten der Kläger für das Widerspruchsverfahren XXX dem Grund nach übernahm, aber die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Beschwerdeführerin ablehnte.

Gegen die ablehnende Entscheidung nach § 63 Abs. 2 SGB X legten die Kläger Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren wurde unter dem Aktenzeichen xxx geführt. Durch Widerspruchsbescheid vom 13.04.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 20.04.2015 haben die Kläger, vertreten durch den Beschwerdeführerin, Klage gegen den "Abhilfebescheid vom 08.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2015 hinsichtlich der Kostengrundentscheidung" erhoben.

Durch Beschluss vom 27.08.2015 bewilligte das Sozialgericht Gelsenkirchen den Klägern Prozesskostenhilfe und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Die Beschwerdeführerin erhielt aus der Staatskasse einen Vorschuss i.H.v. 404,60 EUR

Im Erörterungstermin vom 27.04.2016 verpflichtete sich der Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens mit dem Aktenzeichen xxx. Die Beschwerdeführerin nahm den Regelungsvorschlag an und erklärte den Rechtsstreit damit für erledigt. Der Erörterungstermin dauerte von 11.33 Uhr bis 11.50 Uhr.

Die Beschwerdeführerin hat beantragt, ihre Vergütung aus der Staatskasse auf insgesamt 691,69 EUR festzusetzen und zwar in Höhe von:

Verfahrensgebühr Nr. 3102, 1008 VV RVG 480,00 EUR

Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 280,00 EUR

Einigungsgebühr Nr. 1006,1005 VV RVG 300,00 EUR

Tage-und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 1/2 12,50 EUR

PKW-Benutzung Nr. 7003 VV RVG 1/2 3,75 EUR

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

abzüglich Anrechnung § 15a VV RVG 175,00 EUR

= 921,25 EUR

19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG 175,04 EUR

Gesamt 1.096,69 EUR

abzüglich gezahlten Vorschuss 404,60 EUR

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Vergütung am 04.05.2016 auf weitere 144,29 EUR festgesetzt. Er g...

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