Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Zusammenleben über 25jähriger mit Altersrente beziehendem Elternteil. weder Bedarfsgemeinschaft nach SGB 2 noch Einsatzgemeinschaft nach SGB 12. Anspruch auf Eckregelsatz des Haushaltsvorstandes. verfassungskonforme Auslegung. sozialgerichtliches Verfahren. Bewilligungsbescheid über Grundsicherungsleistungen. Fehlen des erforderlichen Vorverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Leistungsempfänger nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB 12 erhalten jedenfalls nach Vollendung des 25. Lebensjahres auch dann den Eckregelsatz, wenn sie mit anderen Personen als ihrem Partner zusammenleben (hier mit den Eltern). Sie sind dann nicht als sonstige Haushaltsangehörige iS von § 3 RSV anzusehen (Aufgabe von LSG Celle-Bremen vom 10.7.2007 - L 8 SO 143/07 ER = FEVS 59, 12 und vom 23.4.2009 - L 8 SO 75/08 und Anschluss BSG vom 19.5.2009 - B 8 SO 8/08 R).

2. Enthält ein Bewilligungsbescheid über Grundsicherungsleistungen keine Entscheidung über Leistungen für die Unterkunft nach § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 und verhält sich auch der Widerspruchsbescheid hierzu nicht, fehlt es insoweit an dem erforderlichen Vorverfahren, wenn im folgenden gerichtlichen Verfahren über die Höhe der Grundsicherungsleistungen erstmals Unterkunftsleistungen begehrt werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.06.2011; Aktenzeichen B 8 SO 1/10 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 22. Juni 2007 sowie der im Namen und im Auftrag der Beklagten erlassene Bescheid der Stadt J. vom 17. Juli 2006 und ihr Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2006 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 2006 bis zum 31. Juli 2007 Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung unter Ansatz des Eckregelsatzes zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin 3/4 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung von höheren Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, insbesondere unter Berücksichtigung des Eckregelsatzes für den Haushaltsvorstand statt des ihr zugestandenen Regelsatzes für einen Haushaltsangehörigen (80 vH des Eckregelsatzes) und die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 1. August 2006 bis 31. Juli 2007.

Die im Februar 1970 geborene Klägerin lebte in einer Wohnung zusammen mit ihrer im November 1941 geborenen Mutter, ihrem am 30. September 1935 geborenen und am 25. August 2007 verstorbenen Vater und ihrem volljährigen Bruder H.. Die Klägerin gehört ebenso wie ihr Bruder H. (geboren im Mai 1971) zum Personenkreis der behinderten Menschen; sie besitzt einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen "G", "H" und "B". Sie ist tätig im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), ebenso wie der Bruder H.. Sie erhielt zunächst Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) in den Jahren 2003 und 2004; ab dem 1. Januar 2005 wurden ihr Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) gewährt.

Die Klägerin begehrte mit Folgeantrag vom 12. Juni 2006 Grundsicherungsleistungen für die zwölf Monate ab 1. August 2006. Kosten für Unterkunft und Heizung waren - wie in den Anträgen zuvor - nicht angegeben. In dem Antrag vom 16. Mai 2003 hatte die Klägerin mitgeteilt, dass sie mietfrei bei ihren Eltern wohnt. Mit im Namen und im Auftrag der Beklagten erlassenen Bescheid der Stadt J. vom 17. Juli 2006 wurden der Klägerin für den Zeitraum 1. August 2006 bis zum 31. Juli 2007 monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 254,37 € bewilligt. In dem Berechnungsblatt war angesetzt ein Regelsatz von 276,00 € (Regelsatz für einen Haushaltsangehörigen ab Vollendung des 14. Lebensjahres), eine Kürzung des Regelsatzes um 10 % wegen der Möglichkeit für die Klägerin, das Mittagessen in der WfbM einzunehmen, keine Kosten für Unterkunft und Heizung; angerechnet wurde das Einkommen aus ihrer Tätigkeit in der WfbM (128,93 € abzüglich Arbeitsförderungsgeld 26,00 €, abzüglich Arbeitsmittel 5,20 € und abzüglich der Absetzung nach § 82 Abs 3 SGB XII). Die Klägerin legte Widerspruch mit der Begründung ein, eine Kürzung wegen des Mittagessens in der WfbM dürfe nicht vorgenommen werden. Sie nehme in der Werkstatt kein Mittagessen ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2006 als unbegründet zurück. Darin wurde ausgeführt, dass wegen der Möglichkeit der Einnahme des kostenfreien Mittagessens in der WfbM der Bedarf der Klägerin insoweit gedeckt sei. Die Regelsatzkürzung sei daher gerechtfertigt.

Die Klägerin hat am 22. November 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Sie hat vorgetragen, der Regelsatz dürfe wegen der Möglichkeit der Mittagessenteilnahme in der WfbM nicht gekürz...

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