Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderzuschlag. Vormundschaft. Mündel. keine Gleichstellung mit leiblichen Kindern. Vermeidung von Hilfebedürftigkeit. Bedarfsgemeinschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach der faktischen und rechtlichen Stellung des Vormunds - unter Berücksichtigung der Folgen für die Bewilligung staatlicher Transferleistungen - ist es nicht geboten, ein Mündel hinsichtlich der Bewilligung von Kinderzuschlag nach § 6a BKGG den leiblichen Kindern gleichzustellen.

2. Die in § 6a Abs 1 Nr 4 BKGG genannte Vermeidung von Hilfebedürftigkeit ist nach der gesetzlichen Systematik allein auf die Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft des Anspruchstellers zu beziehen, zu denen ein Mündel nicht zählt.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 15. Juli 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Kinderzuschlag gemäß § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für ein Mündel.

Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau, seinen leiblichen 8 Kindern (geboren zwischen 1993 und 2006) sowie einem Mündel, seiner am 15. Dezember 1994 geborenen Nichte I., die sich mittlerweile in der Berufsausbildung befindet, in einem gemeinsamen Haushalt. Auf seinen Antrag vom 7. Oktober 2008 bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 5. Februar 2009 Kinderzuschlag zunächst für den Zeitraum von Oktober 2008 bis Juni 2009 in Höhe von monatlich 1.260,00 € (9 x 140,00 €), wobei auch J. als Kind berücksichtigt wurde. In Bezug auf den Fortzahlungsantrag des Klägers für den Folgezeitraum von Juli 2009 bis Dezember 2009 bewilligte die Beklagte gemäß Bescheid vom 2. Juli 2009 lediglich noch Kinderzuschlag in Höhe von 1.075,00 €, wobei sie dem Kläger mit Schreiben vom gleichen Tage mitteilte, für J. könne ein Kinderzuschlag nicht (mehr) gewährt werden. Diese gehöre als Pflegekind nicht zu seiner Bedarfsgemeinschaft. Für dieses Kind bestehe demnach kein Anspruch auf Kinderzuschlag (§ 6a Abs. 1 Nr. 4 BKGG i. V. m. § 7 Abs. 3 Nr. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -). Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe nur für solche Kinder, die mit dem Antragsteller in einer Bedarfsgemeinschaft lebten; hierzu zählten nur eigene Kinder einschließlich der angenommenen (adoptieren) Kinder.

Der Kläger legte dagegen am 9. Juli 2009 Widerspruch ein und berief sich darauf, J. sei kein Pflegekind, und sie (bzw. er, der Kläger) erhalte kein Pflegegeld. Er und seine Ehefrau seien zu Vormündern bestellt; dies wies der Kläger durch Vorlage entsprechender Bestallungsurkunden des Amtsgerichts K. vom 23. März 2005 nach. Zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs berief der Kläger sich darauf, weder er noch seine Ehefrau noch J. erhielten monatliche Pflegegelder, die den Kinderzuschlag ersetzen könnten. Eine Differenzierung zwischen J. und den übrigen Kindern sei damit nicht gerechtfertigt. Eine gegenteilige Entscheidung entspreche nicht dem Sinn des Kinderzuschlags, die Erwerbstätigkeit der Eltern zu fördern.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2009 unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut des § 6 a BKGG sowie des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zurück. Zur Begründung führte sie aus, ein Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe nur für solche Kinder, die mit dem Antragsteller in einer Bedarfsgemeinschaft lebten. Diese Voraussetzung treffe nur auf eigene oder auf adoptierte Kinder zu.

Der Kläger hat am 26. August 2009 Klage erhoben und hat seinen Anspruch auf Kinderzuschlag für das Kind I. gegen die Beklagte weiter verfolgt. Er hat sich darauf berufen, eine Vormundschaft beinhalte nicht nur die Pflege und Betreuung eines Kindes auf Zeit, sondern trage ihm die allumfassenden Pflichten eines Elternteils auf. Es gehe darum, dem Mündel eine dauerhafte Vertretung und Bezugsperson zu geben. Aus diesem Grunde werde die Vormundschaft - anders als eine Pflegschaft - auch nicht mit Pflegegeld ausgeglichen, sondern lediglich ein gegebenenfalls geringer Aufwendungsersatz anerkannt. J. sei wie ein eigenes Kind in die Familie aufgenommen. Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten.

Mit Urteil vom 15. Juli 2010 hat das Sozialgericht (SG) Stade ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - nach Einholung entsprechender Einverständniserklärungen der Beteiligten - die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2009 verpflichtet, dem Kläger antragsgemäß Kinderzuschlag gemäß § 6a BKGG für das Kind J., geb. 15. Dezember 1994, nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, ein Kind, für das der Antragsteller zum Vormund bestellt sei, sei im Rahmen des § 6a BKGG wie ein leibliches Kind zu berücksichtigen. Hierfür spreche sowohl die faktische, als auch die rechtliche Stellung des Vormunds, die derjenigen leiblicher Eltern vergleichbar sei, und zum anderen der Normzweck des § 6a BKGG. D...

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