Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. unentgeltliche Beförderung. Anspruch auf kostenlose Wertmarke. für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB 12. Hilfe zur Pflege in Einrichtungen. Berücksichtigung des Regelsatzes für den Lebensunterhalt nach § 27a SGB 12 und des Barbetrags nach § 27b Abs 2 SGB 12. sozialgerichtliches Verfahren. Erstattungsklage. kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Entbehrlichkeit des Vorverfahrens. prozessuales Bestreiten und Einlassung auf Klageänderung seitens des Beklagten

 

Orientierungssatz

1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl BSG vom 6.10.2011 - B 9 SB 6/10 R = SozR 4-3250 § 145 Nr 3 sowie B 9 SB 7/10 R = BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2, letztere im Hinblick auf Leistungen zum AsylbLG) sind die Voraussetzungen für die Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke nicht nur bei den Personen erfüllt, die tatsächlich Leistungen für den laufenden Lebensunterhalt in unmittelbarer Anwendung des Dritten oder Vierten Kapitels des SGB 12 beziehen, sondern auch bei solchen Personen, die diese Leistungen nur in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften erhalten, aber materiell-rechtlich weitgehend Sozialhilfeempfängern gleichgestellt sind.

2. Bezieher von Hilfen zur Pflege in Einrichtungen nach § 61 SGB 12 sind in diesem Sinne nicht nur in das System der öffentlichen Fürsorge einbezogen, sondern stehen materiell-rechtlich auch weitgehend Sozialhilfeempfängern gleich, wenn bei der Leistungsberechnung der Regelsatz für den allgemeinen Lebensunterhalt (ohne Unterkunft und Heizung) nach § 42 S 1 Nr 1 iVm § 27a SGB 12 sowie der Bedarf für Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bzw des darüber hinausgehenden Barbetrags nach § 42 S 1 Nr 2 iVm § 32 und § 27b Abs 2 SGB 12 berücksichtigt werden.

3. Ein Vorverfahren ist entbehrlich, wenn angesichts des prozessualen Verhaltens des Beklagten (Bestreiten des Anspruchs noch im Berufungsverfahren) eine für den Kläger günstige Verwaltungsentscheidung nicht zu erwarten war und er durch sein Einlassen auf eine geänderte Klage auf seinen Vorrang bei der Gesetzesausführung verzichtet hat (vgl dazu BSG vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 = SozR 3-3870 § 4 Nr 13).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.03.2017; Aktenzeichen B 9 SB 2/17 B)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 21. April 2015 und der Bescheid des Beklagten vom 30. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2013 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 36,00 € zu erstatten.

Dem Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Rechtszüge auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger Aufwendungen in Höhe von 36,00 € für ein Beiblatt mit Wertmarke zum Schwerbehindertenausweis für die Zeit vom 1. November 2013 bis 30. April 2014 zu erstatten hat.

Bei dem 1940 geborenen Kläger ist bereits seit 1980 eine schizophrene Psychose sowie ein dadurch bedingter Grad der Behinderung von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ festgestellt. Aus der Verwaltungsakte des Beklagten ergibt sich, dass der Kläger mindestens seit Frühjahr 1984 regelmäßig Beiblätter mit Wertmarken zu dem Schwerbehindertenausweis erhalten hat, wobei er sich hierbei jeweils mit dem festgelegten Betrag beteiligt hat. Im Herbst 2010 beantragte der Kläger, ihm eine kostenlose Wertmarke auszustellen. Hierbei wies er darauf hin, dass er Hilfe zum Lebensunterhalt beziehe. Dem fügte er ein Kostenanerkenntnis des Landkreises J. bei, aus dem sich ergab, dass der Kläger sich seit Juli 2010 in der Privat-Nerven-Klinik Dr. K. aufhielt und von dem Landkreis als Darlehen Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 35, 19 SGB XII erhielt. Der Beklagte stellte dem Kläger daraufhin in den Jahren 2010 bis 2012 unentgeltliche Wertmarken aus.

Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der letzten Wertmarke beantragte der Kläger im Juli 2013 erneut die Ausstellung einer kostenlosen Wertmarke für den Folgezeitraum ab September 2013. Der Beklagte zog hierzu von dem Landkreis J. einen Berechnungsbogen für die dem Kläger gewährten Leistungen für August 2013 bei, aus dem sich eine monatliche Sozialhilfeleistung für den Kläger in Höhe von 939,26 € ergab. Diese hatte der Landkreis J. ausweislich des Berechnungsbogens in der Weise ermittelt, dass er zunächst den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen und sodann den Betrag für Hilfe zur Pflege ermittelte. Für die Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt hatte der Landkreis den notwendigen Lebensunterhalt zugrunde gelegt, dazu den Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie einen Barbetrag addiert. Der Gesamtbetrag des Bedarfs des Klägers belief sich damit auf 1.017,54 €. Dem hatte der Landkreis die Einkünfte des Klägers aus Renten in Höhe von 1.480,09 € gegenübergestellt und einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 0,00 € errechnet. Hinsichtlich der Hilfe zur Pfl...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge