Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. Nichtvorliegen einer wesentlichen Änderung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Bewilligung und Zahlung von Wohngeld durch die Wohngeldstelle. Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides. Ausschluss vom Wohngeld. Behaftung der erbrachten Leistungen mit einer Rückzahlungsverpflichtung

 

Orientierungssatz

1. Weder die Bescheidung eines Antrags auf Bewilligung von Leistungen nach dem WoGG noch die Zahlung von Leistungen nach dem WoGG führt bei einem Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 zu einer wesentlichen Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB 10.

2. Der Wirksamkeit eines an einen Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 gerichteten Wohngeldbescheides steht § 28 Abs 3 WoGG entgegen, wonach der Bewilligungsbescheid von dem Zeitpunkt an unwirksam wird, ab dem ein zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied nach den §§ 7 und 8 Abs 1 WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist.

3. Aus der Unwirksamkeit des Wohngeldbescheids folgt, dass eventuell gezahltes Wohngeld zu Unrecht erbracht worden ist und damit von Anfang an mit einem Anspruch des Wohngeldleistungsträgers auf Erstattung (§ 50 Abs 2 SGB 10) behaftet war.

4. Eine lediglich vorübergehend zur Verfügung stehende Leistung ist nicht als Einkommen iS des § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 zu qualifizieren. In dem Zeitpunkt, in dem die Einnahme als Einkommen berücksichtigt werden soll, darf der Zufluss nicht bereits mit einer (wirksamen) Rückzahlungsverpflichtung belastet sein (vgl BSG vom 22.8.2013 - B 14 AS 1/13 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 64 und vom 23.8.2011 - B 14 AS 165/10 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 43).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 18. Mai 2012 und der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts (SG) C. vom 18. Mai 2012 (Bl. 61 d.A.). Das SG hat seine Klage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der ARGE C. - das ist die Rechtsvorgängerin des Beklagten, einer gemeinsamen Einrichtung der Stadt C. und der Bundesagentur für Arbeit (BA) nach § 44b Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - abgewiesen. Streitig sind in der Zeit von Januar bis September 2009 gewährte Leistungen in Höhe von 1.368,-- Euro.

Der 1982 geborene Kläger beantragte am 27. November 2008 bei der ARGE J. (künftig auch insoweit: Beklagter) die Bewilligung laufender Leistungen nach dem SGB II. Die Miete für die von dem Kläger zu diesem Zeitpunkt bewohnte 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 46,36 qm betrug bis zum 31. Dezember 2008 monatlich 203,98 Euro, zzgl. 78,84 Euro Betriebskostenvorauszahlungen und 51,-- Euro Vorauszahlungen für Heizung und Warmwasser (Mietvertrag vom 26. Februar 2007 = Bl. 13 der von dem Beklagten beigezogenen Leistungsakte ≪LA≫). Zum 1. Januar 2009 stieg die Grundmiete auf 236,44 Euro (vgl. Schreiben der Vermieterin vom 16. Oktober 2008 = Bl. 10 d.A.). Die Frage nach dem Bezug von Wohngeld verneinte der Kläger (Bl. 20 LA). Der Kläger gab eine geringfügige Beschäftigung bei der K. GbR J. mit einem monatlichen Einkommen von 165,-- Euro an (Arbeitsvertrag vom 15. November 2008 = Bl. 22 d.A.). Das Arbeitsverhältnis ist Seitens der K. GbR mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 zum 31. Dezember 2008 gekündigt worden (Bl. 48 LA).

Am 10. Dezember 2008 beantragte der Kläger bei der Stadt C. Leistungen nach dem Wohngeldgesetz (WoGG). Die Stadt C. (Fachbereich Soziales und Gesundheit) bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 14. Januar 2009 Wohngeld iHv 33,-- Euro für den Monat Dezember 2008 (Wohngeldbescheid Nr. 1 = Bl. 116 d.A.) und mit weiterem Bescheid vom 14. Januar 2009 Wohngeld iHv jeweils 152,-- Euro für die Monate Januar bis Oktober 2009 (Wohngeldbescheid Nr. 2 = Bl. 120 d.A.). Mit dem Wohngeldbescheid Nr. 3 vom 23. April 2009 bewilligte die Stadt C. dem Kläger einmalig 100,-- Euro (Bl. 124 d.A.).

Die BA bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2008 Arbeitslosengeld I (Alg) für die Zeit vom 16. November 2008 bis 15. November 2009 (Bl. 70 LA). Der tägliche Leistungsbetrag lag bei 18,22 Euro.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 31. Mai 2009 (Bl. 59 LA = Bl. 298 LA). Im Dezember betrug die Höhe der Leistungen 79,59 Euro (Kosten für Unterkunft und Heizung ≪KdU≫). Dem lag ein Bedarf von 351,-- Euro für die Regelleistung und 327,19 Euro für KdU zugrunde. Davon abgesetzt wurden ein bereinigtes Erwerbseinkommen iHv 52,-- Euro sowie Alg iHv 546,60 Euro. Für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31. Ma...

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