Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. Anspruch der gesetzlichen Krankenkasse auf Herausgabe der Krankenunterlagen. Rechtsweg zu den Sozialgerichten. Erforderlichkeit der Konkretisierung. Mitteilung der konkreten Anhaltspunkte/Hinweise. aktives Vorgehen der Regelungsadressaten. Beschränkung auf drittverursachte Schäden

 

Orientierungssatz

1. Für das Begehren auf Akteneinsicht bzw leihweise Herausgabe einer gesetzlichen Krankenkasse gegen den Träger eines Krankenhauses ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.

2. Anhaltspunkte bzw Hinweise iS von § 294a SGB 5 sind nur dann gegeben, wenn konkrete Tatsachen gegeben sind, die einen Verdacht auf eine Leistungszuständigkeit eines anderen sozialen Leistungsträgers als die gesetzliche Krankenkasse bzw eine nennenswerte Wahrscheinlichkeit iS eines Anfangsverdachts begründen können. Hinreichend konkret sind solche Tatsachen etwa dann, wenn sie durch eindeutige Befunde oder Berichte gestützt werden.

3. Die Erforderlichkeit der Konkretisierung der für das Akteneinsichtsbegehren von der gesetzlichen Krankenkasse herangezogenen Tatsachen ist erforderlich, weil mit der vom ärztlichen Behandler gewährten Akteneinsicht/Herausgabe das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Versicherten/Patienten betroffen wird. Notwendig ist daher eine Abwägung der von der gesetzlichen Krankenkasse verfolgten Interessen der Versichertengemeinschaft auf Ausschluss unberechtigter wirtschaftlicher Inanspruchnahme einerseits und der Dispositionsfreiheit des Versicherten über seine personenbezogenen Daten, die vom ärztlichen Behandler/Krankenhaus wahrgenommen werden, andererseits.

4. Eine Übermittlung von Sozialdaten durch den Arzt/das Krankenhaus darf nur dann vorgenommen werden, wenn die konkreten Anhaltspunkte/Hinweise der übermittelnden Stelle vorliegen, also - auch bei Anforderung - von der die Übermittlung anfordernden Stelle mitgeteilt werden.

5. Nach dem Wortlaut der Vorschrift regelt § 294a SGB 5 allein ein aktives Vorgehen der Regelungsadressaten, also der "Vertragsärzte, ärztlich geleiteten Einrichtungen und der Krankenhäuser nach § 108". Aktiv heißt in diesem Zusammenhang, dass die Regelungsadressaten durch die Norm verpflichtet werden, von sich aus tätig zu werden wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine Leistungsunzuständigkeit der gesetzlichen Krankenkasse und/oder eine etwaige Schadensersatzpflicht Dritter haben. Sie haben dann auf eigene Initiative hin die in Rede stehenden Daten der gesetzlichen Krankenkasse zu übermitteln. Von dem Wortlaut nicht erfasst ist hingegen das sog reaktive Vorgehen, dh die Übermittlung der entsprechenden Daten nicht auf eigene Initiative der Ärzte/Krankenhäuser etc, sondern auf Anforderung der gesetzlichen Krankenkasse (Reaktion).

6. Weder vom Wortlaut, von der systematischen Auslegung, von der historischen Auslegung, noch von Sinn und Zweck des Gesetzes gedeckt und nicht mit weiteren gesetzgeberischen Wertentscheidungen anderer Rechtsgebiete, namentlich des Strafrechts, sowie mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des fairen Verfahrens und der sog Selbstbelastungsfreiheit ist in Übereinstimmung zu bringen, dass eine gesetzliche Krankenkasse die Akteneinsicht/Herausgabe vom Träger eines Krankenhauses nach § 294a SGB 5 zur Prüfung und ggf zum Nachweis einer Behandlungsfehlers verwenden will, nicht also zur Prüfung und ggf zum Nachweis eines Behandlungsfehlers einer dritten Person.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Gerichtskosten und hat der Beklagten deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 5.000,- €.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die klagende Krankenkasse beansprucht von der beklagten Krankenhausbetreiberin die Gewährung von Einsichtnahme in die vollständigen Behandlungsunterlagen einer früheren Patientin der Beklagten und Versicherten der Klägerin durch Herausgabe/leihweise Überlassung an sich, also an die Regressabteilung der Krankenkasse, nicht an den MDK, um einen etwaigen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte oder die bei ihr die Versicherte behandelnd habenden Ärzte prüfen zu können.

Die im Jahre 1930 geborene Frau R K (im Folgenden: Versicherte) wurde nach einer Schenkelhalsfraktur am 9. Juli 2005 im Krankenhaus der Beklagten stationär aufgenommen. Nach durchgängigem stationären Aufenthalt verstarb sie hier November 2005. Die Behandlungskosten wurden von der Klägerin an die Beklagte gezahlt (ca. 150.000 Euro).

Nach Übersendung der Krankenhausentlassungsanzeige im Verfahren des Datenträgeraustauschs verlangte die Klägerin mit Schreiben vom 5. Januar 2006 von der Beklagten Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen der Beklagten über die verstorbene Versicherte. In dem Schreiben hieß es wörtlich:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

Frau K wurde in Ihrer Klinik stationär behandelt.

Für eine Prüfung und mögliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, die nach § 116 SGB X auf die Krankenkasse übergehen, benötigen wir...

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