Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung). Auswahl der Mittel. Herausgabe der Krankenunterlagen durch Krankenhaus. Verfolgung eventueller Rückforderungsansprüche im Rahmen der Stufenklage

 

Orientierungssatz

1. Eine Krankenkasse entscheidet nach Maßgabe der §§ 275ff SGB 5, ob und in welcher konkreten Fragestellung sie den MDK bei der Klärung einer medizinischen Frage einschaltet. Sie kann den Begutachtungsauftrag jederzeit ändern, ergänzen oder beenden, wenn sie dies aufgrund neuer Erkenntnisse für angezeigt hält. Deshalb entscheidet sie auch darüber, ob und mit welchen Mitteln vorgegangen werden soll, wenn der MDK mitteilt, ein anderer Beteiligter verweigere die Erteilung erbetener Auskünfte, die erbetene Einsichtnahme in medizinische Unterlagen oder deren - stets nur vorübergehende - Herausgabe bzw sonstige Formen der Zusammenarbeit.

2. Ein Krankenhaus hat im Rahmen der wechselseitigen Leistungsbeziehungen zur Krankenkasse diejenigen Angaben zu machen und Unterlagen beizubringen, die zur Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im Einzelfall erforderlich sind (vgl BSG vom 22.4.2009 - B 3 KR 24/07 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 18 Rdnr 14). . Die Herausgabe der Krankenunterlagen steht auch im Einklang mit der neuen Rechtsprechung des BSG zu der mit Wirkung vom 1.4.2007 eingeführten Vorschrift des § 275 Abs 1c SGB 5 (vgl BSG vom 16.5.2012 - B 3 KR 14/11 R = BSGE 111, 58 = SozR 4-2500 § 109 Nr 24).

3. Eine Krankenkasse kann nach Herausgabe der ärztlichen Unterlagen und Beurteilung durch den MDK evtl bestehende Rückforderungsansprüche im Rahmen der Stufenklage verfolgen.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hannover vom 3. Mai 2010 verurteilt, an die Klägerin den sich aus dem Ergebnis der Prüfung des Entlassungsberichts, der Pflegedokumentation, der Patientenkurve und dem Operationsbericht des stationären Aufenthalts von Werner K. vom 4. Dezember bis 6. Dezember 2005 ergebenden Rückforderungsbetrag nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Wege der Stufenklage die Herausgabe von medizinischen Unterlagen an den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens Berlin (MD-BEV) sowie entsprechend dem Ergebnis der Prüfung ggf. die Erstattung überzahlter Rechnungsbeträge.

Der bei der Klägerin versicherte Werner K., geboren 7. Juli 1936, befand sich vom 4. Dezember bis 6. Dezember 2005 im Krankenhaus der Beklagten in stationärer Behandlung. Die Kosten wurden von der Klägerin in voller Höhe beglichen. Im Rahmen einer nachträglichen Rechnungsprüfung stellte die Klägerin nach ihrem Vorbringen Kodierauffälligkeiten fest und beauftragte den MD-BEV mit der Überprüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung (Kodierung) des Krankenhausfalles. Mit Schreiben vom 29. Juni 2009 beantragte der MD-BEV bei der Beklagten die Überlassung des Entlassungsberichts, der Pflegedokumentation sowie der Patientenkurve und des Operationsberichts für den Versicherten. Dies verweigerte die Beklagte mit Schreiben vom 8. Juli 2009, da die Sechs-Wochenfrist nach § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch  (SGB V) bereits abgelaufen sei. Anschließend forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 17. Juli und 25. August 2009 auf, die entsprechenden Unterlagen an den MD-BEV zu übersenden. Dem folgte die Beklagte nicht.

Die Klägerin hat am 16. Dezember 2009 Stufenklage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, auf Herausgabe der Unterlagen an den MD und Zahlung eines eventuellen Rückforderungsbetrages (nebst Zinsen), der sich aus dem Ergebnis der Prüfung ergebe. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die neu in das Gesetz aufgenommene Regelung in § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V für diesen Behandlungsfall noch nicht gelte und weitere gesetzliche oder vertragliche Fristen zur Überprüfung einer Abrechnung über den stationären Aufenthalt nicht ersichtlich seien. Die Klägerin berief sich hierzu auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie sei nach mehr als 3,5 Jahren nach Rechnungsstellung nicht mehr verpflichtet, die Unterlagen vorzulegen. Dies folge aus § 275 SGB V, der auch in seiner Neufassung nur das normiere, was bei Einführung des davor geltenden § 275 SGB V vom Gesetzgeber gewollt gewesen sei. Es solle nämlich innerhalb einer relativ kurzen Frist Rechtsfrieden eintreten und der Tatsache Rechnung getragen werden, dass ggf. Nachfragen hinsichtlich der Behandlung bei den behandelnden Ärzten nach Ablauf einer gewissen Zeit gar nicht mehr möglich seien. Da der Gesetzgeber habe feststellen müssen, dass die Klägerin und andere Krankenversicherungen eine besondere Eilbedürftigkeit...

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