Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzbedürfnis des durch einstweilige Anordnung belasteten Leistungsträgers für eine Beschwerde. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Mietschulden. Übernahme von Stromschulden. Ermessensausübung. Einzelfallbetrachtung. Wahrnehmung des Umgangsrechts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde eines Leistungsträgers nach dem SGB 2 besteht auch dann, wenn er der ihn belastenden einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts durch Geldzahlungen zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung nachgekommen ist (entgegen LSG München vom 10.7.2009 - L 7 AS 323/09 B ER - ua).

2. Bei der Übernahme von Energiekostenrückständen nach § 22 Abs 5 SGB 2 gelten die gleichen Maßstäbe wie bei drohender Obdachlosigkeit.

3. Das Tatbestandsmerkmal der "Rechtfertigung" als unbestimmter Rechtsbegriff in § 22 Abs 5 SGB 2 muss erfüllt sein, bevor in die "intendierte" Ermessensausübung eingetreten wird.

4. Bei der Betätigung des Ermessens ist eine umfassende Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.

5. Allein die Wahrnehmung des Umgangsrechts des Hilfesuchenden mit seinem Kind ist bei dieser Ermessensbetätigung nicht von ausschlaggebendem Gewicht.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 14. April 2010 abgeändert.

Der Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Energiekostenschulden in Höhe von 1.063,77 EURO als Darlehen zu übernehmen, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Übernahme seiner Energiekostenrückstände (in Bezug auf Strom und Gas, mit dem er heizt) beim örtlichen Energieversorgungsunternehmen hat.

Der im Januar 1974 geborene Antragsteller ist ledig und von Beruf Fliesenleger. Er ist der Vater eines im August 2003 geborenen Sohnes, der bei seiner Mutter lebt, die im selben Wohnort wie der Antragsteller wohnt.

Früher lebten der Antragsteller, sein Sohn und dessen Mutter zusammen in einer Bedarfsgemeinschaft in einer Wohnung im G., die etwa 65 qm Wohnfläche hatte und aus drei Zimmern bestand. Diese Bedarfsgemeinschaft erhielt von der Antragsgegnerin in der Zeit von Januar 2005 bis Dezember 2008 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für verschiedene Leistungszeiträume in unterschiedlicher Höhen, die sich u. a. aus Arbeitsverdiensten des Antragstellers in bestimmten Zeiträumen, Arbeitsverdiensten der damaligen Lebensgefährtin des Antragstellers in verschiedenen Zeiträumen und einer etwa 5-monatigen Haft des Antragstellers im Laufe des Jahres 2005 ergaben. Bereits während dieser Zeit ergaben sich Schwierigkeiten in der Leistungsgewährung zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin, weil Arbeitseinkünfte verspätet oder nicht mitgeteilt wurden, außerdem liefen Schulden bei den Vermietern und dem örtlichen Energieversorgungsunternehmen auf. Zum Ende des Jahres 2008 trennte sich die Mutter des Sohnes des Antragstellers von ihm und bezog mit ihrem Sohn eine eigene Wohnung.

Zum 01. Februar 2009 bezog der Antragsteller die auch jetzt innegehabte Wohnung, die aus drei Zimmern und einer Wohnfläche von etwa 85 qm besteht, im Jahre 2005 errichtet wurde und sich über zwei Stockwerke erstreckt. Für Miete und Nebenkosten hatte der Antragsteller zunächst 400,00 EURO monatlich an seine Vermieter zu zahlen; für den Bezug von Gas, mit dem auch eine Gasetagentherme beheizt wird, hatte er monatlich 80,00 EURO und für den Bezug von Strom monatlich 65,00 EURO an Abschlagsbeträgen an das örtliche Energieversorgungsunternehmen zu zahlen. In der Zeit vom 01. Januar bis 29. Juni 2009 erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin keine Leistungen, sondern bezog Arbeitslosengeld I.

Am 02. Juli 2009 hat der Antragsteller erneut bei der Antragsgegnerin die Gewährung von laufenden Leistungen beantragt. Dabei stellte sich u. a. heraus, dass er seit dem Juni 2009 keine Miete mehr gezahlt hatte und unter dem 18. Mai 2009 vom örtlichen Energieversorgungsunternehmen die Ankündigung einer Versorgungseinstellung vorlag, weil Zahlungsrückstände aufgelaufen waren. Nachdem die Beklagte zunächst vergeblich vom Antragsteller die Vorlage verschiedener Unterlagen angefordert hatte, bewilligte die Antragsgegnerin ihm mit Bescheid vom 03. September 2009 für den Bewilligungszeitraum vom 01. Juli bis 30. September 2009 monatliche Leistungen in Höhe von 832,67 EURO. Die Leistungsbewilligung wurde auf diesen Endzeitpunkt beschränkt, weil der Antragsteller zuvor mitgeteilt hatte, dass er ab dem 01. September 2009 wiederum bei der Arbeitgeberin eine Beschäftigung gefunden habe, bei der er auch schon früher und in den vergangenen Leistungszeiträumen zeitweise beschäftigt gewesen war. Unter dem 29. Oktober 2009 übersandte der Energieversorger an den Antragsteller eine Abrechnung für den Bezug von Strom und Er...

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