Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsausbildungsbeihilfeanspruch. auswärtige Unterbringung eines Minderjährigen. Nichterreichbarkeit der Ausbildungsstätte in angemessener Zeit. zumutbare Pendelzeit. Unzumutbarkeit der Verweisung auf die elterliche Wohnung aus schwerwiegenden sozialen Gründen

 

Orientierungssatz

1. Da unter Berücksichtigung von § 3 Abs 1 ZumutbarkeitsAnO 1982 ein zeitlicher Aufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis zu insgesamt etwa zweieinhalb Stunden zumutbar ist, ist eine in diesem Zeitrahmen erreichbare, ca 40 km von der Wohnung der Eltern entfernte Ausbildungsstätte iS von § 40 Abs 1 S 2 Nr 2 AFG in angemessener Zeit erreichbar.

2. Eine Verweisung eines minderjährigen Kindes auf die Wohnung seiner Eltern oder eines Elternteils ist in teilweiser Anlehnung an die familienrechtliche Rechtsprechung zu § 1612 Abs 2 BGB erst dann iS von § 40 Abs 1 S 3 Alt 4 AFG aus schwerwiegenden sozialen Gründen als unzumutbar einzustufen, wenn zB Anhaltspunkte für eine unangemessene körperliche Züchtigung oder familiäre Gewalt, fehlende Toleranz im Elternhaus oder unangemessene Überwachungsmaßnahmen der Eltern festzustellen sind, nicht jedoch schon bei gelegentlichen Wortentgleisungen, Entfremdung oder rücksichtslosem Verhalten eines Kindes.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.06.2004; Aktenzeichen B 7 AL 38/03 R)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob ein Anspruch auf Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) im Zeitraum vom 20. Oktober bis 31. Dezember 1997 besteht.

Der ... 1980 geborene Kläger war seit dem 01. April 1997 Mieter einer ca. 35 m² großen Wohnung in W, Schstraße .... Der Mietzins betrug 500,-- DM. Seine am 27. April 1990 geschiedenen Eltern bewohnten verschiedene Wohnungen in A. Die als gesetzliche Vertreterin eingesetzte Mutter war als Sozialpädagogin in der Funktion als "Betreuer im Freizeittreff" beim Verein für Jugendhilfe e.V. beschäftigt. Der Vater des Klägers ist als Polizeioberkommissar tätig und kam seinen Unterhaltspflichten in Höhe von monatlich 505,-- DM bzw. 422,-- DM bei Bestehen eines Ausbildungsverhältnisses fortwährend nicht nach.

Am 04. September 1997 stellte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung von BAB beim Arbeitsamt N. Ab dem 20. Oktober 1997 war der Beginn einer Ausbildung des Klägers als Verkäufer (bis zum 19. Oktober 1999) bei der Ausbildungsgemeinschaft I e.V. in N beabsichtigt, wobei die Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr 370,-- DM Netto betragen sollte.

Zuvor hatte der Kläger am 29. September 1996 ein Ausbildungsverhältnis als Koch begonnen und nach Abbruch derselben am 01. Februar 1997 eine Ausbildung als Zimmerer bei der o. g. Ausbildungsgemeinschaft ... e.V. gestartet. Nach Beendigung dieses Ausbildungsverhältnisses zum 10. September 1997 (wegen Höhenuntauglichkeit) beantragte der Kläger die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe. Ebenso hat der Kläger nach Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses als Verkäufer (nach eigenen Angaben wegen finanzieller Not) zum 31. Dezember 1997 Arbeitslosenhilfe beantragt, welche auch jeweils letztendlich bewilligt wurde.

Das am 29. Oktober 1997 beim Arbeitsamt N eingereichte Antragsformular zur Bewilligung von BAB nebst Anlagen wurde am 06. November 1997 an das zuständige Arbeitsamt St weitergeleitet. Am 05. November 1997 teilte der Kläger zwischenzeitlich mit, am 17. November 1997 in die H-B-Straße ... in W (678,16 DM Miete) umzuziehen.

Mit Schriftsatz vom 17. November 1997 äußerte sich der Kläger dahingehend, während seiner Ausbildung als Zimmerer zuletzt BAB in Höhe von monatlich 751,-- DM erhalten zu haben. Am 01. April 1997 sei er aus der elterlichen Häuslichkeit ausgezogen, da das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter immer schlimmer geworden sei. Man hätte sich täglich angeschrien, und sogar gewaltsame Auseinandersetzungen seien aufgetreten. Nach und nach sei realisiert worden, dass man sich auseinander gelebt habe. Durch den permanenten psychologischen Dauerstress seien nicht nur er und seine Mutter, sondern auch seine Schwester sehr belastet gewesen. Da er das Verhältnis zwischen sich und der Mutter zerstört habe, sei er zum einzig richtigen Entschluss gekommen: "Ich ziehe aus und gehe meine eigenen Wege". Da er und seine Mutter sich bei jedem Zusammentreffen anschreien und streiten würden, sei er nicht gewillt, zurückzuziehen.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 1997 wurde der Antrag auf BAB mit der Begründung abgelehnt, dass keine schwerwiegenden sozialen Gründe für die Notwendigkeit einer Unterbringung außerhalb des Haushaltes der Mutter vorliegen würden und die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Mutter in angemessener Zeit zu erreichen sei.

Hiergegen legte der Kläger am 13. Januar 1998 Widerspruch ein und führte zur Begründung ergänzend aus, laut Aussage des Amtes für Jugend und Soziales seien die Tatsachen, dass seine erste und zweite Ausbildung wegen der häufigen Auseinandersetzungen mit seiner Mutter letztendlich hätten beendet werden müssen, ausreichend genug, einen schwerwiegend...

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