Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Vergabenachprüfungsverfahren. Unzulässigkeit einer Streitgenossenschaft von in Konkurrenz stehenden Bietern. Rügeobliegenheiten. ungewöhnliches Wagnis iSd § 8 Nr 1 Abs 3 VOLA1. Aufhebung einer Beiladung durch das Beschwerdegericht. Streitwertfestsetzung. Schätzung nach freiem Ermessen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beschwerdeverfahren, in denen in Konkurrenz stehende Bieter einer Ausschreibung gemeinsam agieren, sind mangels Zulässigkeit einer Streitgenossenschaft zu trennen.

2. Die Rügeobliegenheiten des § 107 Abs 3 GWB gelten als tragende materielle Regeln des Vergaberechts auch nach Rechtswegzuweisung zur Sozialgerichtsbarkeit.

3. Ein ungewöhnliches Wagnis (§ 8 Nr 1 Abs 3 der VOLA1) liegt bei einer zweijährigen Vertragsdauer nebst einmaliger Option für weitere 2 Jahre bei einer Hilfsmittelversorgung betreffend Gehhilfen, Kranken- und Behindertenfahrzeugen nicht vor.

4. Beiladungen durch die Vergabekammer gemäß § 109 GWB kann das Beschwerdegericht aufheben, wenn Beigeladene nach Verfahrenstrennung nicht mehr schwerwiegend in ihren Interessen berührt sind. Den ehemals Beigeladenen steht in dem betreffenden Verfahren kein Kostenerstattungsanspruch zu.

5. Im Rahmen der Streitwertfestsetzung kann eine Schätzung nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung der auf Wertungsstufe IV gelangten Angebote erfolgen, wenn bei einer ausgeschriebenen Hilfsmittelversorgung die Zahl der tatsächlichen Versorgungen aufgrund prognostischer Kalkulation basierend auf Fallzahlen vergangener Jahre naturgemäß ungewiss ist. Einseitige Vertragsverlängerungsoptionen sind streitwertrelevant.

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 3. Vergabekammer bei dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern vom 01. August 2008 - … - wird zurückgewiesen.

Die Beiladungen der Beigeladenen zu 1., 4., 5., 7. und 8. werden aufgehoben.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Eilantrages gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB. Sie hat der Antragsgegnerin und den Beigeladenen zu 3. und 6. ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 125.000,00 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin (Ag) führt europaweit ein offenes Ausschreibungsverfahren zum Abschluss von Versorgungsverträgen gemäß § 127 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für den Zeitraum vom 01. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2010 über Leistungen zur Versorgung mit Gehhilfen und Kranken-/Behindertenfahrzeugen entsprechend der Produktuntergruppen des Hilfsmittel-verzeichnisses 10.46.01, 10.46.02, 10.50.04 sowie 18.46.02, 18.46.03, 18.50.02, 18.99.04 und 18.99.05 durch. Zeitgleich kündigte sie den Rahmenvertrag mit der Innung Orthopädietechnik zum 30. Juni 2008. Die Ausschreibung wurde im Supplement vom 04. April 2008 (ABl. 2008/S 66-089021) bekannt gemacht. Nach den Verdingungsunterlagen waren Versorgungspauschalen zu kalkulieren. Ausgeschrieben ist die Versorgung für einen befristeten Zeitraum von 2 Jahren (beabsichtigte Vertragslaufzeit: 01. Juli 2008 bis 30. Juni 2010), wobei der Ag ein einseitiges Optionsrecht für weitere 2 Jahre eingeräumt wird. Die Versorgungsdauer erfolgt unabhängig von der Vertragsdauer für einen Versorgungszeitraum von 4 Jahren ab Auslieferung. Auf der Basis der Versorgung im Jahre 2007 berechnete die Ag ein Auftragsvolumen für den Vertragszeitraum von ca. 7.500.000,00 EUR. Die Ausschreibung erfolgt in 18 Regionallosen innerhalb des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Angebote sind zulässig für maximal 5 Regionallose. Als Teilnahmebedingungen werden unter anderem die Vorlage eines aktuellen Handelregisterauszuges, gültiger Unbedenklichkeits-bescheinigungen des zuständigen Finanzamtes und des hauptsächlich zuständigen Sozialversicherungsträgers sowie verschiedene fachliche Eignungsnachweise verlangt. Bietergemeinschaften sind, soweit gesamtschuldnerisch haftend, zulässig. Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote ist der 16. Mai 2008 - 12.00 Uhr bestimmt. Die Verdingungsunterlagen waren bei der Vergabestelle abzuverlangen.

In den Verdingungsunterlagen der Ag wird die ausgeschriebene Leistung, das Vergabeverfahren und die Angebots- und Bewerbungsbedingungen im Einzelnen konkretisiert. Des Weiteren finden sich unter anderem umfangreiche Hinweise zu den geforderten Fachkundenachweisen. Wegen der Einzelheiten wird auf die in den Akten der Ag befindlichen Verdingungsunterlagen verwiesen.

In der Folgezeit riefen 91 Interessenten die Verdingungsunterlagen nebst Anlagen bei der Vergabestelle ab. Die Ag erstellte in Beantwortung von Fragen der Bewerber am 24. April, 08. Mai, 15. Mai und 23. Mai 2008 als Zusatzinformationen Nr. 1 bis 4 benannte Auskünfte nach § 17 Nr. 6 VOL/A, die sie an alle Bewerber versandte (jeweils per Fax; Send...

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