Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Mietkaution. Darlehen. atypischer Fall. Ermessen des Leistungsträgers. Darlehenstilgung durch Aufrechnung. Alternativen

 

Orientierungssatz

1. Die Mietkaution ist nach § 22 Abs 6 S 3 SGB 2 im Regelfall als Darlehen zu gewähren; in atypischen Fällen hat der Leistungsträger hingegen ein Ermessen hinsichtlich der Form der Gewährung der Kaution auszuüben.

2. Bei der Prüfung des Vorliegens eines atypischen Falles ist es nicht ausreichend, allein auf die Frage der Zumutbarkeit einer Belastung mit (weiteren) Schulden abzustellen, da im Einzelfall nicht bzw nicht nur die Belastung mit weiteren Schulden, sondern auch die Tilgung des Darlehens durch Aufrechnung mit dem Leistungsanspruch unzumutbar sein kann.

3. Ein Zuschuss ist nicht zwingend die einzig mögliche Alternative zum Darlehen mit Tilgung durch Aufrechnung (vgl LSG Essen vom 23.4.2015 - L 7 AS 1451/14 = juris RdNr 36). In Betracht kommt insbesondere auch die Gewährung eines Darlehens ohne Tilgung durch Aufrechnung, wobei die nähere Ausgestaltung dem Ermessen des Leistungsträgers überlassen bleibt.

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Form der Übernahme einer Mietkaution durch den Beklagten.

Bei der 1969 geborenen Klägerin war zunächst ein Grad der Behinderung von 70 und das Merkzeichen G anerkannt, u.a. wegen eines langjährigen Abhängigkeitsleidens. Die Klägerin war längere Zeit obdachlos. Sie wohnte wiederholt in öffentlich-rechtlicher Unterbringung bzw. in sozialen Projekten (so von November 2011 bis Juli 2012 in der Übernachtungsstätte F. von fördern und wohnen, im Juli/August 2012 im C. für Frauen und von August 2012 bis August 2013 bei "N." gemeinnützige Wohnungslosenhilfe). Bis zum 1. Juli 2011 war bei ihr die Pflegestufe I anerkannt und sie war zwischenzeitlich in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Für sie war mehrfach, zuletzt bis zum 25. Juli 2014, eine Betreuung eingerichtet, die auf ihren Wunsch beendet wurde. Ihrem Vortrag nach erhält sie Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) und gehört zum Personenkreis des § 67 SGB XII. Erwerbsminderungsrente beantragte die Klägerin nicht, weil sie nach ihrer Einschätzung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllte. Bis zum 29. Februar 2016 erhielt sie laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetz (SGB II) vom Beklagten, seit dem 1. März 2016 erhält sie Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII.

Zum 1. September 2013 konnte die Klägerin in eine Wohnung der B. und I. Stiftung in der S. in H. ziehen, die sie bis heute bewohnt. Für diese Wohnung war eine Kaution in Höhe von 1.200 Euro zu leisten. Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 17. September 2013 hierfür ein Darlehen in entsprechender Höhe. Der Bescheid enthielt keine Ermessenserwägungen. In den ihm beigefügten Darlehensbedingungen wurde u.a. die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs geregelt. Ferner war dort eine Aufrechnung des Darlehensrückzahlungsanspruchs nach § 42a SGB II gegen den Anspruch auf Regelbedarf in Höhe von monatlich 10% dieses Bedarfs vorgesehen. Ebenfalls am 17. September 2013 schlossen der Beklagte und die Klägerin einen Abtretungsvertrag, mit dem die Klägerin zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs ihren Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution gegen ihre Vermieterin an den Beklagten abtrat. Mit einem weiteren Bescheid vom 17. September 2013 erklärte der Beklagte, er werde seinen Anspruch auf Rückzahlung des Mietkautionsdarlehens beginnend mit dem 1. Oktober 2013 monatlich im Umfang von 38,20 Euro gegen den laufenden Leistungsanspruch der Klägerin aufrechnen.

Die Klägerin legte sowohl gegen den Darlehens- als auch gegen den Aufrechnungsbescheid vom 17. September 2013 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies ihr Prozessbevollmächtigter auf ein Parallelverfahren. Die individuelle Lebenssituation der Klägerin wurde im Widerspruchsverfahren noch nicht dargelegt.

Der Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2013 zurück. Der Darlehensbescheid und der Aufrechnungsbescheid seien rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Aufrechnung sei § 42a Abs. 2 SGB II. Bereits in den dem Darlehensbescheid beigefügten Darlehensbedingungen werde die Aufrechnung verfügt, der Aufrechnungsbescheid setze dies um. Der Umfang der Aufrechnung sei gesetzlich geregelt, sodass im vorliegenden Fall für Ermessen kein Raum bestehe. Es bestünden keine Bedenken dagegen, dass das Kautionsdarlehen damit letztlich aus der Regelleistung getilgt werde. Während hierfür in der Vergangenheit eine ausdrückliche Rechtsgrundlage gefehlt habe, sei diese zum 1. April 2011 mit der Regelung in § 42a SGB II geschaffen worden. Der Beklagte bezog sich weiter auf eine Entscheidung des Sozia...

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