Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. fremdsprachiger Schriftsatz. Rechtswirkung

 

Orientierungssatz

Die Vorschrift des § 184 GVG - auf die § 61 Abs 1 SGG verweist - ist zwingender Natur und von Amts wegen zu beachten (vgl BSG vom 22.10.1986 - 9a RV 43/85 = SozR 1500 § 61 Nr 1). Aus ihr folgt, dass Schriftstücke (Klagen, vorbereitende Schriftsätze, Rechtsmittelschriften), die nicht in Deutsch abgefasst sind, keine verfahrensrechtlichen Wirkungen entfalten können.

 

Tatbestand

Der 1930 geborene Kläger, der die algerische Staatsangehörigkeit besitzt und in Algerien lebt, begehrt wegen der Folgen des am 24. September 1968 erlittenen -- von der Beklagten anerkannten -- Arbeitsunfalls, bei dem er sich eine Navicularfraktur der linken Hand zugezogen hatte, eine höhere Verletztenrente.

Durch Bescheid vom 21. September 1977 hatte die Beklagte eine "Kahnbeinpseudarthrose nach Refraktur eines heilenden Kahnbeinbruches links mit beginnenden arthrotischen Veränderungen am linken Handgelenk und Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk" als Unfallfolgen anerkannt und dem Kläger ab 9. Januar 1969 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. bewilligt, die seitdem laufend nach Algerien ausgezahlt wird. In der Folgezeit hatte der Kläger mehrfach eine Erhöhung der Verletztenrente mit der Begründung begehrt, der Zustand seiner linken Hand habe sich verschlimmert, sowie die Zahlung von Kinderzuschlägen gefordert. Nach umfangreichen Ermittlungen lehnte die Beklagte die Neufeststellung der Rente durch Bescheid vom 3. November 1983 ab. Die gegen diese Entscheidung vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim erhobene Klage (S 3 U 3121/83) blieb erfolglos (Urteil vom 25. Januar 1985), ebenso die dagegen eingelegte Berufung (Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 19. September 1985 -- L 7 U 1489/85 --). Im letzten Absatz auf Seite 7 dieses Urteils ist wörtlich ausgeführt: "Kinderzulagen werden nach § 583 Abs. 1 RVO erst ab einer unfallbedingten MdE um 50 % gewährt". Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde vom Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 18. Dezember 1986 als unzulässig verworfen (2 BU 201/86).

In der Folgezeit wandte sich der Kläger mehrfach in französischer Sprache an die Beklagte. Dabei äußerte er die Auffassung, ihm sei von dem Landessozialgericht Baden-Württemberg eine 50 %ige Verletztenrente zugesprochen worden. In einem weiteren Klageverfahren wies das SG Mannheim (S 2 U 2457/87) seine hierauf gerichtete Klage durch Urteil vom 14. April 1988 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung verwarf das LSG Baden-Württemberg durch Urteil vom 16. März 1989 als unzulässig, weil nach § 61 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Gerichtssprache Deutsch sei und das in französischer Sprache gehaltene Berufungsschreiben nicht als formgerecht eingelegte Berufung gewertet werden könne (L 7 U 145/89). Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BSG durch Beschluss vom 28. Juli 1989 als unzulässig verworfen (2 BU 106/89). Eine weitere Klage wurde von dem SG Mannheim (S 2 U 1191/93) durch Gerichtsbescheid vom 1. September 1995 als unzulässig abgewiesen, weil sie nicht in deutscher Sprache erhoben worden war. Danach lehnte die Beklagte die Bearbeitung der in französischer Sprache gehaltenen Eingaben des Klägers mit der Begründung ab, die Amtssprache sei Deutsch.

Mit einem in französischer Sprache gehaltenen Schreiben vom 16. Juli 1998, in dem die "Großhandels-Bezirksverwaltung Berlin" als Beklagte bezeichnet ist, wandte sich der Kläger an das SG Speyer. Wie der deutschen Übersetzung dieses als Klage gewerteten Schreibens zu entnehmen ist, beantragte er, entsprechend dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19. September 1985 seine Rente wegen Erwerbsminderung auf 50 % festzusetzen. Das SG Speyer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 11. Februar 1999 an das SG Berlin verwiesen. Dieses hat, nachdem die ersten Schriftsätze des Klägers in französischer Sprache in das Deutsche übersetzt worden waren, mit Schreiben vom 11. Mai 1999 darauf hingewiesen, dass die Gerichtssprache Deutsch ist und dass sich aus zwischenstaatlichem Recht keine andere Beurteilung ergebe, da der Kläger in Algerien wohnhaft sei. Der Kläger wurde aufgefordert, künftig alle Schriftsätze an das Gericht in deutscher Sprache bzw. Übersetzung vorzulegen, da ansonsten die Klage unzulässig sei und abgewiesen werden könne. Mit weiterem Schreiben vom 28. Juni 1999 wurde dem Kläger die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 63 Abs. 3 SGG aufgegeben. Er wurde nochmals aufgefordert, sich im Schriftverkehr mit dem Gericht der deutschen Sprache zu bedienen.

In einem Schriftsatz vom 20. März 1999 brachte der Kläger, wie der deutschen Übersetzung zu entnehmen ist, zum Ausdruck, dass er Unfallrente nach einer MdE von 50 v.H. und "Kindergeld" für seine sechs unterhaltsberechtigten Kinder (geboren in dem Zeitraum von 1974 bis 1988) begehre.

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