Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. MdE-Feststellung durch den Unfallversicherungsträger. Bindungswirkung für das Versorgungsamt

 

Leitsatz (amtlich)

Die Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit schließt nach § 4 Abs 2 SchwbG eine von ihr abweichende Feststellung des Grades der Behinderung durch das Versorgungsamt auch dann aus, wenn diesem bei der Entscheidung über die Höhe des Grades der Behinderung oder über dessen Herabsetzung nach § 48 SGB 10 der Bescheid des Unfallversicherungsträgers nicht bekannt war und der Behinderte sich erst nachträglich (hier: im Gerichtsverfahren) auf ihn berufen hat.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Beklagten, den dem Kläger zuerkannten Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) herabzusetzen.

Der am ... geborene Kläger leidet an den gesundheitlichen Folgen von Blasenkrebs. Dieses Leiden wurde durch Bescheid der zuständigen Bau-Berufsgenossenschaft H (im Folgenden: BG) vom ... Dezember ... als Folge einer Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anerkannt. Seit dem 19. Oktober 1990 bezieht der Kläger eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H..

Noch vor Erteilung des vorgenannten Bescheides der BG und ohne Kenntnis des laufenden Verfahrens wegen Verletztenrente hatte der Beklagte mit Bescheid vom 20. November 1990 dem Kläger einen GdB von 100 sowie die Merkzeichen "G" und "RF" zuerkannt. Am 31. März 19.. beantragte der Kläger beim Beklagten formularmäßig die Neufeststellung des GdB und die Zuerkennung weiterer Merkzeichen. Auf der Grundlage einer vom ihm eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme erteilte der Beklagte am 27. Mai 19.. einen weiteren Bescheid, in welchem dem Kläger auch die Merkzeichen "aG" und "B" zuerkannt wurden.

Nachdem anlässlich der im Jahre 1995 von Amts wegen vorgenommenen Überprüfung der versorgungsärztliche Dienst zu dem Ergebnis gekommen war, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich stabilisiert, setzte der Beklagte nach Durchführung des Anhörungsverfahrens den GdB auf 80 herab und entzog dem Kläger die zuerkannten Merkzeichen "B", "aG" und "RF" (Bescheid vom 13. Mai 19.., Widerspruchsbescheid vom 22. August 19...

Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung eines GdB von 100 und der Merkzeichen "aG" und "RF". Durch Bescheid vom 1. November 1996 entschied der Beklagte, dass die Merkzeichen "B", "aG" und "RF" aus "Rechtsgründen weiter gewährt" werden, der GdB jedoch wie bisher 80 betrage.

Der Kläger hielt an seinem Begehren auf Zuerkennung eines GdB von 100 fest und verwies in seinem Schriftsatz vom 24. September 1997 auf den diesem als Anlage beigefügten Bescheid der BG vom 10. Dezember 1992, aus dem sich ergebe, dass die MdE wegen der berufsbedingten Gesundheitsstörung 100 v.H. betrage. An diese Entscheidung sei der Beklagte gemäß § 4 Abs. 2 SchwbG gebunden.

Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, die Regelung des § 4 Abs. 2 SchwbG könne nicht angewendet werden, weil der Kläger über die von der BG anerkannten Erkrankungen hinaus im Schwerbehindertenverfahren Nachteilsausgleiche beansprucht, also ein Interesse an einer anderweitigen Feststellung geltend gemacht habe.

Nachdem die BG mit Schreiben vom 20. Februar 1998 mitgeteilt hatte, dass der Kläger weiterhin eine Dauerrente nach einer MdE von 100 v.H. beziehe, und der Kläger hinsichtlich der anerkannten Merkzeichen den Rechtsstreit für erledigt erklärt hatte, hat das Sozialgericht durch Urteil vom 9. Dezember 1998 entschieden, dass der Bescheid vom 13. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1996 sowie der Bescheid vom 1. November 1996 aufgehoben werden, soweit sie eine Herabsetzung des GdB von 100 enthalten; im Übrigen sei der Rechtsstreit durch Teilanerkenntnis erledigt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, der Beklagte habe die Bindungswirkung des § 4 Abs. 2 SchwbG nicht beachtet. Der Bescheid der BG vom 10. Dezember 1992 habe bereits zum Zeitpunkt der herabsetzenden Entscheidung bestanden -- wenn auch ohne Kenntnis des Beklagten -- und in Folge dessen sei die den GdB herabstufende Entscheidung nach der zum Zeitpunkt ihres Erlasses maßgeblichen Sach- und Rechtslage als rechtswidrig anzusehen. § 4 Abs. 1 SchwbG, der eine von der Rentenfeststellung abweichende Bemessung des GdB zulasse, sei nicht anzuwenden, weil dies nicht dem Interesse des Klägers entsprochen habe.

Gegen das am 11. März 1999 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. März 1999 Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, dass hier nicht Abs. 2, sondern Abs. 1 des § 4 SchwbG anzuwenden sei, weil der Kläger seinen Antrag auf § 4 Abs. 1 SchwbG gestützt und nicht nur die Feststellung von Behinderungen und eines GdB, sondern auch die Zuerkennung von Merkzeichen begehrt habe, über die na...

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