Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. versicherte Tätigkeit. Ereignis. Unfallereignis. Vollbremsung. alltägliches Geschehen. kein außergewöhnliches Ereignis. Abbremsen eines Zuges. Triebwagenführer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff "Ereignisse" in § 8 Abs 1 S 2 SGB 7 beschreibt ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des Versicherungsfalles "Arbeitsunfall".

2. Das Unfallereignis ist als selbstständiges Geschehen von der bloßen Ausübung der versicherten Tätigkeit abzugrenzen.

3. Das Abbremsen eines Zuges aufgrund einer dieses Handelns erfordernden Verkehrssituation stellt keinen (Arbeits-)Unfall dar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.11.2011; Aktenzeichen B 2 U 23/10 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren, welches unter dem Aktenzeichen L 2 U 23/09 geführt wird, von der Beklagten die Gewährung von Leistungen aufgrund eines Ereignisses am 18. Juni 2007; vorab ist streitig, ob dieses Ereignis den Unfallbegriff im Sinne des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) erfüllt. In dem mit Beschluss vom 26. August 2010 von diesem Verfahren abgetrennten Verfahren, das unter dem Aktenzeichen L 2 U 175/10 geführt wird, ist ein Ereignis vom 30. März 2007 streitig, dessen Ablauf noch ungeklärt ist.

Der 1955 geborene Kläger ist seit Oktober 1974 bei der S-Bahn B als Führer von Schienenfahrzeugen beschäftigt.

Laut Unfallanzeige vom 23. April 2007 führte der Kläger am 30. März 2007 als Triebfahrzeugführer einen S-Bahnzug. Weiter ist in der Unfallanzeige ausgeführt: “Bei Annäherung an einen Bahnübergang überquerte eine männliche Person bei geschlossenen Schranken den Bahnübergang.„ Der Versicherte habe einen Schock erlitten.

Auch am 18. Juni 2007 führte der Kläger als Triebfahrzeugführer einen S-Bahnzug und erlitt ausweislich der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 22. November 2007 einen weiteren Beinaheunfall an einem Bahnübergang, diesmal mit einem Pkw. Der Kläger führte dazu aus, wegen einer Störung der Schrankenanlage am Bahnhof F sei er schriftlich im Vorfeld des Dienstantritts beauftragt worden, mit seinem Zug vor dem Bahnübergang zu halten. An diese Anweisung habe er sich auch gehalten. Nachdem er festgestellt habe, dass sich keine Fahrzeuge den Gleisen rechts näherten bzw. diese vor dem Bahnkreuz (linke Seite) angehalten hätten, habe er das Achtungssignal gegeben und den Zug in Bewegung gesetzt. Als der sich nun in Fahrt befindliche S-Bahn-Zug bereits den Straßenbereich des Bahnübergangs erreicht gehabt habe, sei ein Kraftfahrzeug von rechts kommend unmittelbar vor dem Zug über die Gleise gefahren. Nur durch eine sofortige Schnellbremsung habe ein Zusammenprall verhindert werden können. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Dienst ordnungsgemäß zu beenden und habe abgelöst werden müssen. In der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2010 hat der Kläger ergänzend ausgeführt, als er den Übergang habe überfahren wollen, habe er eine Geschwindigkeit von ca. 5 bis 6 Stundenkilometern erreicht gehabt. Bei einer durch den Bremshebel eingeleiteten Zwangsbremsung brauche es noch ca 5 bis 6 Meter bevor der Zug zum Stehen komme.

Dr. M teilte im Durchgangsarztbericht vom 18. Juni 2007 mit, er habe bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsreaktion diagnostiziert. Arbeitsunfähigkeit nahm er vom 18. Juni 2007 bis 30. Juni 2007 an.

Mit Bescheid vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2008 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Folgen des Ereignisses vom 18. Juni 2007 ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Kläger habe als Triebfahrzeugführer mit der S-Bahn am unbeschränkten Bahnübergang F gehalten. Bei der Weiterfahrt sei es zu einem Beinahe-Unfall mit einem Pkw, der den Bahnübergang unmittelbar bei der Weiterfahrt überquert habe, gekommen. Äußerliche Verletzungen seien keine eingetreten. Ein eigentliches Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung als Ursache einer Verletzung habe nicht stattgefunden. Der Kläger habe sich zu keinem Zeitpunkt in einer lebensbedrohlichen Situation befunden. Allein die Vorstellung eines Unfalls sei für die Erfüllung des Unfallbegriffes nicht ausreichend. Es fehle am äußeren Ereignis und handle sich um eine berufstypische Belastung. Ein solches Geschehen erfülle nicht die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch wenn ein versichertes Unfallereignis hier vorgelegen haben sollte, könne die jetzige Arbeitsunfähigkeit keinesfalls unfallbedingt sein. Es handle sich um unfallunabhängige Beschwerden. Auch die Anerkennung des Ereignisses vom 30. März 2007 als Arbeitsunfall lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Septemb...

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