Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Einkommensermittlung bei mehreren von einem Grundsicherungsempfänger betriebenen Gewerbebetrieben. Zulässigkeit der endgültigen Ablehnung eines Leistungsantrags bei Ermittlung des Einkommens über eine Schätzung durch den Grundsicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind bei der Einkommensermittlung des Hilfebedürftigen Einnahmen aus mehreren nebeneinander betriebenen selbständigen Tätigkeiten jeweils gesondert unter Anrechnung der jeweils für diesen Betrieb anfallenden Ausgaben zu ermitteln. Eine Saldierung der jeweiligen Einnahmen aus den einzelnen Unternehmungen zu Gesamteinnahmen, von denen dann die saldierten Ausgaben aus allen Betrieben abgezogen werden können, findet dagegen nicht statt.

2. Wird durch einen Grundsicherungsempfänger, der mehrere Gewerbebetriebe betreibt, zum Einkommensnachweis lediglich eine undifferenzierte, insbesondere nicht nach Gewerbebetrieben aufgeteilte, Einnahme-Überschuss-Rechnung vorgelegt, so ist der Grundsicherungsträgers mangels ausreichendem Einkommensnachweis zur Schätzung der auf den Bedarf anzurechnenden Einkünfte berechtigt.

3. Ein Ablehnungsbescheid über einen Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende kann auch dann als endgültiger Bescheid und nicht lediglich als Bescheid unter Vorbehalt erlassen werden, wenn im Zeitpunkt seines Erlasses mangels ausreichender Angaben des Antragstellers das verfügbare Einkommen nur im Rahmen einer Schätzung ermittelt werden kann.

4. Einzelfall zur Ermittlung eines Leistungsanspruchs im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier: Festsetzung von Leistungen in Höhe von 1,00 Euro).

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, §§ 11, 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a; Alg II-V § 3 Abs. 2; Alg II-V § 3 Abs. 6; Alg II-V § 5

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Oktober 2011 geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern zu 1. und 3. unter Änderung des Ablehnungsbescheides vom 24. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat März 2010 in Höhe von jeweils 1,- Euro zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1964 geborene Klägerin zu 1. und ihre 1989 bzw. 1991 geborenen Söhne, die Kläger zu 2. und 3., bezogen seit Anfang 2005 ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Sie bewohnten eine der Klägerin zu 1. gehörende Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 103 m². Der Kläger zu 2., der im September 2009 die Schule abgebrochen hatte, absolvierte vom 18. Januar 2010 bis 11. April 2010 ein mit einem Bruttomonatsgehalt von 1.450,- Schweizer Franken (CHF) - entspricht etwa 1.187,55 Euro - vergütetes Praktikum als Veranstaltungstechniker bei der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft in D (Schweiz), um sich mit dieser Berufssparte vertraut zu machen. Aus dieser Tätigkeit flossen ihm am 2. Februar 2010 500,- CHF (= 339,37 Euro), am 25. Februar 2010 1.114,04 CHF (= 761,33 Euro), am 25. März 2010 1106,15 CHF (= 774,61 Euro) und am 3. Mai 2010 764,21 CHF (= 532,07 Euro) zu. Die monatliche Miete für die Unterkunft in der Schweiz betrug umgerechnet 169,93 Euro.

Mit ihrem für die Kläger gestellten Fortzahlungsantrag vom 1. Dezember 2009 legte die Klägerin zu 1. die Einnahmen und Ausgaben im Zeitraum 1. Juli 2009 bis 25. November 2009 der drei von ihr betriebenen Gewerbe (Schreibdienst: Gewinn von 4.369,88 Euro, Interneteinzelhandel: Gewinn von 146,00 Euro, Pension in der Uckermark: Verlust von 2.909,48 Euro) dar und errechnete als Berechnungsgrundlage für den zukünftigen Bedarfszeitraum aus dem “Gesamtüberschuss„ von 1.606,40 Euro ein monatliches Durchschnittseinkommen von 267,73 Euro.

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 versagte der Beklagte die Leistungen für die Kläger ab dem 1. Januar 2010, weil die Klägerin zu 1. nicht getrennt für jedes Unternehmen Prognosen für die in den Monaten Januar bis Juni 2010 erwarteten Einnahmen vorgelegt hätte. Mit Bescheid vom 18. Januar 2010 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Leistungen ab 1. Januar 2010 ab, weil die Kläger nicht hilfebedürftig seien. Dabei erkannte der Beklagte von dem für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis 25. November 2009 für den Schreibdienst und den Einzelhandel dargelegten Ausgaben die Kfz-Kosten und die Aufwendungen für Fremdarbeiten und Kosten des Geldverkehrs nicht an, weil die entsprechenden Nachweise nicht vorgelegt worden seien. Die Einnahmen und Ausgaben aus dem Pensionsbetrieb wurden insgesamt nicht berücksichtigt, weil ein Verlustausgleich aus mehreren selbständigen Tätigkeiten nicht möglich sei. Mit Bescheid vom 25. Januar 2010 hob der Beklagte den Bescheid vom 11. Dezember 2009 auf. Die Kläger legten am 26. Janu...

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