Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Hochschulstudium Maschinenbau. "pro-forma-Immatrikulation". weder Analogleistung gem § 2 Abs 1 AsylbLG noch Grundleistung nach § 3 AsylbLG. Anwendung des § 22 Abs 1 SGB 12. besonderer Härtefall iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB 12. Aktualitätsgrundsatz. keine teleologische Reduktion

 

Orientierungssatz

1. Bei dem Hochschulstudium Maschinenbau handelt es sich um eine unter die Regelungen des BAföG fallende dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung.

2. Die Anwendung des § 22 Abs 1 SGB 12 ist nicht ausgeschlossen, wenn im Falle des Asylbewerbers lediglich eine "pro-forma-Immatrikulation" vorliegt. Denn ob § 22 SGB 12 greift, ist allein nach den objektiven Verhältnissen (Immatrikulation) zu beurteilen (vgl OVG Lüneburg vom 10.11.1997 - 12 L 878/97 = FEVS 48, 468 zu § 26 BSHG). An der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach dem BAföG, dem Besuch einer Ausbildungsstätte, fehlt es während des Bestehens der formalen Immatrikulation nur, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt ist (vgl BVerwG vom 25.8.1999 - 5 B 153/99).

3. Ein besonderer Härtefall iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB 12 liegt nach der zu § 26 Abs 1 S 2 BSHG ergangenen Rechtsprechung des BVerwG nur dann vor, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses nach § 26 Abs 1 S 1 BSHG über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist, und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart erscheinen (vgl BVerwG vom 14.10.1993 - 5 C 16/91 = BVerwGE 94, 224). Die Beschränkung der Ausbildungsförderung auf den Personenkreis des § 8 BAföG, also auf anerkannte Asylberechtigte, nicht aber auf Asylbewerber, denen regelmäßig eine Erwerbstätigkeit ausländerrechtlich untersagt ist, stellt eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung dar, die nicht über die Anwendung des § 22 Abs 1 S 2 SGB 12 auf diese Fälle unterlaufen werden darf (vgl OVG Saarlouis vom 23.9.1988 - 1 W 380/88 = FEVS 38, 116).

4. Grundsätzlich gilt nach dem vom BSG entwickelten "Aktualitätsgrundsatz", dass Bedarfe, die nicht mehr vorhanden sind, auch nachträglich nicht mehr zu decken sind (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R = BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, - B 8 AY 5/07 R = SozR 4-3520 § 9 Nr 1 und vom 26.8.2008 - B 8 SO 26/07 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 15).

5. Ein Anspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG folgt nicht aus einer teleologischen Reduktion des § 2 AsylbLG. Die teleologische Reduktion einer Vorschrift gegen ihren Wortlaut gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (vgl BVerfG vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 = AP Nr 11 zu Art 100 GG). Eine solche kann grundsätzlich zulässig sein, wenn die in den Gesetzesmaterialien oder der Gesetzessystematik zum Ausdruck kommende Regelungsabsicht eine analoge oder einschränkende Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfasste Sachverhalte gebietet und deswegen sowie wegen der Gleichheit der zugrunde liegenden Interessenlagen auch der nicht geregelte Fall hätte einbezogen werden müssen (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R aaO). Dabei darf dem Gesetz kein entgegenstehender Sinn verliehen werden, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. September 2006 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des gesamten Verfahrens findet nicht statt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach den § 3 bzw. § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) für den Kläger im Zeitraum vom 01. Januar 2006 bis 31. Mai 2007.

Der 1963 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von K. Er wurde im Jahr 1987 von K zum Studium der Fachrichtung Maschinenbau an die Technische Universität B delegiert. Nachdem er sein Studium nicht in der dafür vorgesehenen Frist abschloss, wurde ihm der weitere Aufenthalt ausländerrechtlich im Oktober 2000 versagt. In Zusammenhang mit einem zweiten Abschiebungsversuch stellte der Kläger am 03. Juni 2002 einen Asylantrag. Das Klageverfahren gegen die Ablehnung als Asylbewerber war seit Juni 2003 beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig und jedenfalls bis zum 31. Mai 2007 nicht abgeschlossen. Gemäß einer Auflage zu seiner Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens war der Kläger verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft in P zu wohnen, was er seither auch tat. Ihm war nicht erlaubt, während des Asylverfahrens einem Studium oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder nach B zu reisen. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum weiterhin als Student der Technischen Universität B...

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