Entscheidungsstichwort (Thema)

Familienversicherung. Überschreiten der Einkommensgrenze. rückwirkende Feststellung. selbständige Tätigkeit. Gesamteinkommen. regelmäßiges Einkommen. vorausschauende Betrachtung auch bei rückwirkender Beurteilung. Maßgeblichkeit des letzten verfügbaren Einkommensteuerbescheides

 

Leitsatz (amtlich)

Eine vorausschauende Betrachtung anhand des zeitlich letzten Einkommenssteuerbescheides ist auch bei einer rückwirkenden Feststellung der Voraussetzungen der Familienversicherung hinsichtlich des Einkommens geboten. Einkommenssteuerbescheide werden berücksichtigt, wenn sie zu Beginn des maßgebenden Zeitraumes ergangen sind und die vorausschauende Betrachtung tragen können. Sind sie erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen, können sie die gebotene Prognoseentscheidung der Krankenkasse nicht tragen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.01.2020; Aktenzeichen B 12 KR 63/19 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerinnen gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. September 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerinnen wenden sich gegen die rückwirkende vorübergehende Beendigung ihrer Familienversicherung für die Zeit ab dem 01. Dezember 2012 bis zum 23. Juni 2014.

Die beiden am 16. Oktober 1998 sowie am 06. September 2001 geborenen Klägerinnen sind die Kinder des Mitglieds der Beklagten, ihrer Mutter Frau A H. Diese war bis zur Ehescheidung (rechtskräftig am 24. Juni 2014) mit dem Vater der Klägerinnen, Herrn Dr. O H, der gleichzeitig der Klägerbevollmächtigte ist, verheiratet (im Folgenden: Ehegatte). Dieser war privat krankenversichert und ist Rechtsanwalt sowie Gesellschafter-Geschäftsführer der S Unternehmensberatung GmbH. Die Beklagte führte für die beiden Klägerinnen seit dem 01. Oktober 2001 eine Familienversicherung.

Mit zwei Buchungen jeweils vom 19. August 2011 flossen dem Konto des Ehegatten insgesamt 60.000 €, überwiesen von der S Unternehmensberatung GmbH (im Folgenden: S) zu.

Die Bescheide über die Einkommensteuer wiesen u.a für den Ehegatten für die Jahre 2011 – 2013 die folgenden Einkünfte aus:

Jahr / Datum

Einkünfte selbständige Arbeit (€)

Einkünfte nichtselbständige Arbeit (€)

Gesamtbetrag Einkünfte (€)

2011 / 29.11.2012

67.710

67.710

2012 / 17.02.2015

-37.071

82.970

34.241

2013 / 07.07.2015

45.675

45.675

Der Einkommensteuerbescheid wies für 2011 im Rahmen der für dieses Jahr noch mit dem Ehegatten gemeinsamen Veranlagung für Frau A H Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 53.612 € aus.

Im Rahmen der Überprüfung der Voraussetzungen der Familienversicherung bat die Beklagte Frau A H um Übersendung des Fragebogens zu den Einkommensverhältnissen und eines Einkommensnachweises des Ehegatten.

Nach Übersendung des Einkommensteuerbescheids für 2011 kündigte die Beklagte ihr gegenüber am 09. April 2015 an, dass nach Prüfung des vorgelegten letzten Steuerbescheides das Einkommen des (mittlerweile geschiedenen) Ehegatten monatlich mehr als 4.125 € betrage und die Klägerinnen nicht mehr familienversichert seien. Es sei beabsichtigt, die Familienversicherung zum 30. November 2012 zu beenden. Mit Rechtskraft des Scheidungsurteils könnten die Klägerinnen sofort wieder in die Familienversicherung aufgenommen werden.

Frau A H teilte mit, der Einkommensteuerbescheid 2011 sei von ihrem Ehegatten angefochten worden. Die in dem Steuerbescheid berücksichtigten Einkünfte in Höhe von 68.000 € stammten in Höhe von 60.000 € aus Lieferungen und Leistungen der S. Das Finanzamt habe im Rahmen der Feststellung einer Betriebsprüfung bei S in einer Einspruchsentscheidung gegenüber der Gesellschaft bereits festgestellt, dass die Einkünfte des Ehegatten im Jahr 2011 nur 8.000 € betrügen. Dies belege sie u.a. mit Auszügen aus dem Betriebsprüfungsbericht. Sie übersandte zudem den Einkommensteuerbescheid für 2012.

Mit Bescheid vom 16. Juni 2015 beendete die Beklagte nach Anhörung die Familienversicherung der Klägerinnen rückwirkend mit Ablauf des 30. November 2012, da das Einkommen des nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Ehegatten die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten habe und daher der Ausschluss des § 10 Abs. 3 SGB V zur Anwendung gelange. Sobald ein korrigierter Steuerbescheid vorgelegt werde, könne sie den Verwaltungsakt zur Beendigung der Familienversicherung zurücknehmen. Ab Rechtskraft der Ehescheidung der Eltern werde ab dem 24. Juni 2014 die Familienversicherung weitergeführt.

Die Klägerinnen erhoben mit Schreiben vom 10. Juli 2015 Widerspruch. Der Ehegatte habe 2011 monatlich nicht mehr als 4.125 € verdient, sie verwiesen auf den laufenden Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2011, über den noch nicht entschieden sei. Die Unterlagen zu dem Einspruch seien der Beklagten bereits vorgelegt worden, gegenüber der S habe das zuständige Finanzamt (für Körperschaften II) bereits festgestellt, dass die Einkünfte des Ehegatten 2011 nur 8.000 € betrügen; der Einkomm...

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