Orientierungssatz

1. Sind Anhang III Teil A und B jeweils Nr 35 Deutschland-Österreich Buchst e zur EWGV 1408/71 sowie Anhang VI C Deutschland Nr 1 zur EWGV 1408/71 mit höherrangigem Europarecht, insbesondere dem Freizügigkeitsgebot des Art 39 iVm Art 42 EG, vereinbar?

2. Az des EuGH: C-450/05 - verbunden mit den Rechtssachen C-419/05 und C-396/05

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte dem in Österreich wohnenden Kläger eine Altersrente zu zahlen hat.

Der 1936 in Rumänien geborene Kläger siedelte 1970 von dort nach Österreich aus. Er besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit und ist in Deutschland als Vertriebener anerkannt. Die Beklagte erkannte durch Bescheid vom 9. November 1995 in Rumänien zurückgelegte Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zwischen September 1953 und Oktober 1970 als Pflichtbeitragszeiten an (202 Monate).

Auf den Antrag des Klägers vom Juni 1999, ihm vom 1. August 1999 an Altersrente wegen Vollendung des 63. Lebensjahres zu gewähren, erteilte die Beklagte den Bescheid vom 16. September 1999 – bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 31. August 2000 -, mit dem sie die Zahlung einer Rente ablehnte. Allein aus den Fremdrentenzeiten könne keine Rente ins Ausland gezahlt werden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den EWG-Verordnungen, die das bisher geltende deutsch-österreichische Sozialversicherungsabkommen (Abk Österreich SozVers 1966) abgelöst hätten.

Durch Urteil vom 9. Juli 2001 wies das Sozialgericht (SG) Berlin die dagegen gerichtete Klage ab.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, bis zum 31. Dezember 1993 sei er nach dem Abk Österreich SozVers 1966 als in Österreich lebender Österreicher einem in Deutschland lebenden Deutschen gleichgestellt gewesen (Art 4 Abs 1 Abk Österreich SozVers 1966). Dadurch dass das Abk Österreich SozVers 1966 zum 1. Januar 1994 durch die EWG-Verordnung (EWGV) 1408/71 abgelöst worden sei und danach die Aufhebung der Wohnortklausel nur noch mit Einschränkungen gelte (Anhang III Teil A und B jeweils Nr 35 Deutschland – Österreich Buchst e sowie Anhang VI C. Deutschland Nr 1 zur EWGV 1408/71), dürfe er nicht schlechter gestellt werden. Dies verstoße gegen die Freizügigkeitsbestimmungen der Europäischen Gemeinschaft (EG).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juli 2001 sowie den Bescheid vom 16. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. August 1999 Altersrente wegen Vollendung des 63. Lebensjahres zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Das Verfahren ist auszusetzen.

Der Senat sieht sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits dadurch gehindert, dass die aus dem Entscheidungssatz ersichtliche Frage zu verneinen sein könnte und legt sie deshalb dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor.

Nach dem anzuwendenden deutschen Recht können – wie die Beklagte und die Vorinstanz zutreffend ausgeführt haben – Renten, die auf FRG-Zeiten beruhen, nicht in das Ausland gezahlt werden. Allerdings könnten die einem entsprechenden Rentenexport entgegenstehenden Vorschriften des nationalen Rechts (§§ 110 Abs 2, 113 Abs 1, 272 Sozialgesetzbuch (SGB) VI) wegen Weitergeltung des Privilegs der "uneingeschränkten Gebietsgleichstellung" in § 4 Abs 1 Satz 1 Abk Österreich SozVers 1966 trotz des Beitritts Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) am 1. Januar 1994 und zur Europäischen Union (EU) am 1. Januar 1995 (mit grundsätzlicher Geltung der EWGV 1408/71 ab 1. Januar 1994) nicht anwendbar sein. Demgegenüber vertreten die Beklagte und die Vorinstanz die Ansicht, aus Anhang VI C. Deutschland Nr 1 EWGV 1408/71 folge für Berechtigte, die außerhalb Deutschlands ihren ständigen Aufenthalt hätten oder nähmen, die Einschränkung des Art 10  EWGV 1408/71 (Aufhebung der Wohnortklausel) in Bezug auf Leistungen aus Zeiten, die außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland eingetreten bzw. zurückgelegt seien; die Übergangsregelungen des Anhangs III Teil A und B jeweils Nr 35 Buchst e durchbrächen den Grundsatz des Inkraftsetzens der EWGV 1408/71 ab 1. Januar 1994 nur nach Maßgabe ihrer hier nicht erfüllten Voraussetzungen. Dass die genannten Bestimmungen der EWGV 1408/71 mit höherrangigem Europarecht unvereinbar sein könnten, sehen die Beklagte und die Vorinstanz nicht.

Im Einzelnen gilt folgendes:

Die Leistungen an Berechtigte im Ausland sind im Zweiten Kapitel, Fünfter Abschnitt des SGB VI geregelt. Gemäß § 110 Abs 2 SGB VI erhalten Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, Rentenleistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen. Im Fall des Klägers ist insoweit § 113 Abs 1 SGB VI einschlägig: Gemäß § 113 Abs 1 Nr 1 SGB VI werden für Leistungen an Berechtigte im Ausland persönliche Entgeltpunkte (nur) ermittelt aus Entgeltpunkt...

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