Entscheidungsstichwort (Thema)

ALG II. EU-Staatsangehöriger. Ausschluss. Arbeitsuche. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. europarechtskonforme Auslegung bei Unionsbürgern. geringfügige Beschäftigung. Nichtgeltung Ausschluss bei Ausländern nach EuFürsAbk. Staatsangehörigkeit. Unionsbürger. Arbeitnehmer. Freizügigkeit. Einstweilige Anordnung. Folgenabwägung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gilt für Unionsbürger möglicherweise nur, wenn sie bereits zur Ausreise aufgefordert worden sind.

 

Orientierungssatz

1. Der Arbeitnehmerbegriff in § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU 2004 orientiert sich am Europarecht und umfasst auch geringfügige Beschäftigungen, sofern sie nicht nur völlig untergeordnete und unwesentliche Bedeutung haben (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 14.11.2006 - L 14 B 963/06 AS ER = FEVS 58, 311). Dies ist zumindest dann nicht der Fall, wenn die Tätigkeit einen Umfang von wöchentlich 10 Stunden aufweist und tariflich entlohnt wird.

2. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 muss europarechtskonform dahingehend eingeschränkt ausgelegt werden, dass der Leistungsausschluss für Unionsbürger nur gilt, wenn diese bereits zur Ausreise aufgefordert worden sind (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 25.4. 2007 - L 19 B 116/07 AS ER = ZFSH/SGB 2007, 482).

3. Für den vom EuFürsAbk erfassten Personenkreis ist der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 wirkungslos (vgl LSG Celle-Bremen vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER = NDV-RD 2008, 53).

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FreizügG-EU § 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3; SGG § 86b Abs. 2; EGV Art. 12

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 2007 aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab dem 31. August 2007 bis zu einer Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II) zu erbringen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht abgelehnt, auf den am 31. August 2007 bei ihm eingegangenen Antrag hin den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gegeben.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch - SGB II - . Der mittlerweile 26 Jahre alte Antragsteller hat vorgetragen, dass er seit August 2005 seinen Aufenthalt in Deutschland hat und hilfebedürftig ist. Es gibt keine Anhaltspunkte, an dem Wahrheitsgehalt dieser Angaben oder daran zu zweifeln, dass der Antragsteller erwerbsfähig ist. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II erscheinen damit als erfüllt.

Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts steht die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach ausgenommen (von der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II) Ausländer sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, einer Verpflichtung des Antragsgegners im Wege einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Anzuwenden ist § 7 SGB II in der ab dem 28. August 2007 geltenden Fassung der Vorschrift, die indessen für Unionsbürger nach dem dritten Monat ihres Aufenthaltes keine Änderung gegenüber der vorigen Rechtslage beinhaltet (vgl. BT-Drucks. 16/5065 S. 234).

Zwar spricht einiges dafür, dass dem Antragsteller ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche zukommt. Da er italienischer Staatsangehöriger ist, findet auf ihn das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG-EU) Anwendung. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG-EU sind Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich als Arbeitnehmer oder zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten wollen. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass sich der Arbeitnehmerbegriff in § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG-EU am Europäischen Recht orientiert und auch (im Sinne des deutschen Sozialversicherungsrechts) geringfügige Beschäftigungen umfasst, sofern sie nicht nur völlig untergeordnete und unwesentliche Bedeutung haben (Beschluss vom 14. November 2006 - L 14 B 963/06 AS ER -). Das ist nach dem bereits zitierten Beschluss zumindest dann nicht der Fall, wenn die Tätigkeit einen Umfang von wöchentlich 10 Stunden aufweist und tariflich entlohnt wird. Vorliegend hat der Antragsteller zwar einen Arbeitsvertrag über 10 Stunden wöchentlich geschlossen, tatsächlich aber regelmäßig weniger gearbeitet, wie sich aus den von...

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