Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. erwerbsfähiger Unionsbürger. Einreise zum Zweck der Arbeitsuche. geringfügige Beschäftigung. kein Leistungsausschluss

 

Orientierungssatz

1. Ein EU-Ausländer, der nach seiner Einreise zum Zweck der Arbeitsuche eine geringfügige Beschäftigung iS des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 aufgenommen und damit ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 1 und Abs 2 Nr 1 Alt 1 FreizügG/EU 2004 begründet hat, ist nicht gem § 7 Abs 1 S 2 Alt 1 SGB 2 von den Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen.

2. Als Arbeitnehmer iS des § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 1 FreizügG/EU 2004 ist auch anzusehen, wer eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, mit der er weniger verdient, als im betreffenden Mitgliedstaat als Existenzminimum angesehen wird; außer Betracht bleiben lediglich Tätigkeiten, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen.

 

Gründe

Die zulässige (§§ 172, 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) Beschwerde des Antragstellers hat auch in der Sache Erfolg.

Er hat mit der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) erforderlichen, aber auch ausreichenden Gewissheit die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II) glaubhaft gemacht.

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - ggf. einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung - nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) erhalten Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben

(erwerbsfähige Hilfebedürftige - § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die Antragsgegnerin bezweifelt zu Recht nicht (mehr), dass der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt.

Der Leistungsanspruch des Antragstellers entfällt auch nicht aufgrund der Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, wonach "Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, (ausgenommen sind)". Das Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich nicht "allein aus dem Zweck der Arbeitssuche". Es mag sein, dass er ursprünglich - auch - zu diesem Zweck nach Deutschland eingereist ist. Er hat danach aber eine - wenn auch vermutlich nicht in erster Linie angestrebte - Arbeit aufgenommen, nämlich eine Arbeit als Hilfskraft bei einer Gebäudereinigung. Aufgrund dessen hat er als "Arbeitnehmer" und Staatsangehöriger I - unabhängig davon, ob er weiterhin eine andere (oder weitere) Arbeit sucht - ein Recht auf Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/ EU).

Dieses Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer besteht ungeachtet dessen, dass der Antragsteller nur eine geringfügige Beschäftigung (i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IV)) - "Minijob") vereinbart hat und ausübt. Im Freizügigkeitsgesetz /EU findet sich keine Bestimmung, wonach "Arbeitnehmer" i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU nur ein mehr als geringfügig Beschäftigter wäre. Dies ergibt sich auch nicht aus einer Auslegung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. Danach ist als "Arbeitnehmer" i.S.d. (europäischen) Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (die das Freizügigkeitsgesetz/EU umsetzt) auch anzusehen, wer eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, mit der er weniger verdient, als im betreffenden Mitgliedstaat als Existenzminimum angesehen wird, vorausgesetzt, er übt tatsächlich eine echte Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aus. Außer Betracht bleiben - lediglich - "Tätigkeiten , die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen" (Urteile vom 23. März 1982 - Rs. 53/81, Levin gg. Staatssecretaris van Justitie -, Slg. S. 1035, Randnr. 17 und 18 sowie vom 26. Februar 1992 - Rs. C-357/89, Raulin gg. Minister van Onderwijs en Wetenschapen -, Slg. S. I-1027, Randnr. 13). Dafür kann ein Anhaltspunkt sein, dass die betreffende Person nur sehr wenige Stunden gearbeitet hat; ggfl. ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass sich der Betroffene zur Arbeit auf Abruf des Arbeitgebers zur Verfügung halten muss (Urteil vom 26. Februar 1992, a.a.O., Randnr. 14).

Die vom Antragsteller ausgeübte Beschäftigung ist nicht als "völlig untergeordnet und unwesentlich" anzusehen. Er erbringt - auf der Grundlage eines schriftlich abgeschlossenen und bislang offenbar nicht gekündigten - Arbeitsvertrags Arbeitsleistungen, die für den Arbeitgeber, dessen Weisungen er unterliegt, einen wirtschaftlichen Wert haben. Dass das vom Antragsteller dadurch erzielte bzw. zu erzielende Arbeitsentgelt nicht zur Sicherung seines Lebensunterhalts ausreicht, ist nach der beschriebenen und bei der Auslegung des Freizügigkeitsgesetzes/EU zu beachtenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ebenso unerheblich wie der Umsta...

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