Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des behinderten Menschen auf Leistungen der persönlichen Arbeits- und Pflegeassistenz - zuständiger Leistungsträger

 

Orientierungssatz

1. Für die Anwendung des § 14 SGB 9 genügt es, wenn der angerufene Rechtsträger Träger von Leistungen zur Teilhabe und damit ein Rehabilitationsträger i. S. von § 6 SGB 9 ist. Hat dieser einen gestellten Teilhabeantrag nicht spätestens nach Ablauf von zwei Wochen an den seiner Ansicht nach zuständigen Leistungsträger weitergeleitet, so ist er im Außenverhältnis für die Bewilligung der beantragten Leistungen zuständig. Hierzu zählen Leistungen der Eingliederungshilfe und Assistenzleistungen i. S. von §§ 76, 78 Abs. 2 S. 2 SGB 9.

2. Nach § 78 SGB 9 werden Leistungen für Assistenz zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Antrags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Diese umfassen nach Abs. 2 S. 2 der Vorschrift die vollständige Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie die Begleitung des Leistungsberechtigten und dessen Befähigung zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung.

3. Der Assistenzbedarf richtet sich nach Schwere und Umfang der Behinderungen des Leistungsberechtigten.

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2021 geändert.

Der Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für die Zeit vom 1. März 2021 bis 31. August 2022, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache oder einer früheren vorzeitigen Beendigung der Ausbildung, dem Antragsteller Leistungen für eine persönliche Arbeits- und Pflegeassistenz durch die ambulante dienste eV zu einem Stundensatz von derzeit 46,33 € im Umfang bis zu arbeitstäglich 4,52 Stunden (Arbeitsassistenz) bzw. bis zu arbeitstäglich 3,33 Stunden (Pflegeassistenz) zu gewähren, und zwar im tatsächlich arbeitstäglich abgerufenen und abgerechneten Umfang abzüglich der monatlich erbrachten Leistungen der Antragsgegnerin für eine Arbeitsassistenz und den monatlichen Pflegesachleistungen der Pflegekasse.

Die weitergehenden Beschwerden werden zurückgewiesen.

Der Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die - zulässigen - Beschwerden der Antragsgegnerin und des Antragstellers sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die vom SG getroffene Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war zu ändern und zu verlängern.

Eine - vom Beigeladenen angeregte - zusätzliche Beiladung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) hatte schon deshalb nicht zu erfolgen, weil das LaGeSo, eine der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales des Landes Berlin nachgeordnete Behörde, als solches nicht beteiligtenfähig iSv § 70 SGG ist. Da das Land Berlin bereits notwendig (vgl § 75 Abs. 2 SGG) beigeladen worden ist, bindet die Entscheidung des Senats auch alle seine Behörden; es ist Aufgabe der Landesorganisation, im Wege interner Koordination sicherzustellen, dass möglicherweise (hier wohl klar zu Tage getretene) divergierende Interessen betroffener Behörden mit der Behörde abgestimmt werden, die das Land im gerichtlichen Verfahren vertritt (vgl schon Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫, Beschluss vom 28. August 2002 - 9 VR 11/02 - juris - Rn 4, 5).

Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin - wie vom Sozialgericht angenommen - scheidet aus; vielmehr ist der Beigeladene nach § 14 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) nach wie vor, dh auch nach eingetretener Volljährigkeit des Antragstellers, zuständiger Träger. Die Volljährigkeit des seinerzeit bereits in Ausbildung befindlichen Antragstellers führt nicht zu einem neuen Rehabilitationsgeschehen mit der Möglichkeit, einen Antrag auf (Weiter-)Gewährung der Assistenzleistungen - wie vom Beigeladenen, vertreten durch das LaGeSo - wirksam (an die Antragsgegnerin) weiterzuleiten. Auch die Beendigung der Leistungsbewilligung durch die Befristung in den Bescheiden des Beigeladenen (Jugendamt) vom 27. November 2019 setzt bei unverändertem Rehabilitationsbedarf kein neues Leistungsgeschehen in Gang. Das für die im Außenverhältnis zum Antragsteller fortdauernde Zuständigkeit des Beigeladenen maßgebliche einheitliche Rehabilitationsgeschehen begann mit der Berufsausbildung am 1. September 2019 und des hierauf bezogenen Teilhabeantrags des Antragstellers gegenüber dem Beigeladenen (Jugendamt) vom Juli 2019 und blieb in der Folge (jedenfalls bislang) unverändert (vgl zum Ganzen Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 28. November 2019 - B 8 SO 8/18 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 30 - Rn 14 ff mwN).

Die Einführung der neuen Leistungen der Eingliederungshilfe mit einer neuen Trägerschaft berührt grundsätzlich nicht eine bereits nach § 14 SGB IX (in der Zeit bis 31. Dezember 2019) begründete Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers, der (im Außenverhältnis) gegenüber dem ...

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