Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskräftige Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Überprüfung der Ablehnungsentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wurde ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs 2 SGG rechtskräftig abgelehnt, so ist ein erneuter, im Wesentlichen inhaltsgleicher Antrag unzulässig.

2. Eine Überprüfung der rechtskräftigen Ablehnungsentscheidung ist allenfalls nach § 86 Abs 1 S 4 SGG in doppelt analoger Anwendung möglich und setzt zumindest einen ausdrücklichen Überprüfungsantrag und darauf bezogenen Sachvortrag voraus.

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 22.11.2002; Aktenzeichen 1 BvR 1586/02)

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, denn er ist unzulässig. Die Unzulässigkeit des Antrags ergibt sich daraus, dass er lediglich denjenigen Antrag wiederholt, welcher bereits durch rechtskräftigen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2002 (L 9 B 20/02 KR ER) abgelehnt worden war. Ablehnende Beschlüsse auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erwachsen, wenn kein Rechtsmittel mehr möglich ist, in Rechtskraft; ein erneuter Antrag ist unzulässig, wenn er den abgelehnten Antrag wiederholt (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz -- SGG --, 7. Auflage 2002, § 86b Rdnr. 44 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil der vorliegend gestellte Antrag nicht wesentlich von demjenigen Antrag abweicht, der bereits Gegenstand des vorangegangenen Verfahrens war.

Der Antrag kann auch nicht hilfsweise in einen Antrag auf Abänderung der vorangegangenen Entscheidung vom 29. Mai 2002 umgedeutet bzw. ausgelegt werden. Hierbei lässt der Senat offen, unter welchen Voraussetzungen in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der Sozialgerichtsbarkeit ein Abänderungsverfahren durchgeführt werden kann. Die Vorschrift des § 86b Abs. 2 SGG, die erst mit Wirkung zum 2. Januar 2002 in Kraft getreten ist, enthält keine Regelung über die Abänderung von Beschlüssen, welche in Rechtskraft erwachsen sind. Insbesondere enthält sie keine Bezugnahme auf § 927 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), der unter engen Voraussetzungen die Abänderung eines Beschlusses über eine einstweilige Verfügung vorsieht. Gleichfalls fehlt in § 86b Abs. 2 SGG auch eine Regelung, die der Vorschrift des § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG entspricht. § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG ermöglicht in den Fällen, in denen über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen belastenden Verwaltungsakt zu entscheiden war, Abänderungsentscheidungen auf Antrag. Wegen des umfassenden Rechtsschutzgebotes des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) spricht einiges dafür, die Vorschrift des § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG auf Fälle wie den vorliegenden analog anzuwenden. Dies würde allerdings eine doppelte Analogie erfordern, denn notwendig wäre nicht nur die Übertragung dieser Regelung von Abs. 1 auf Abs. 2 der Vorschrift des § 86b SGG, sondern zudem auch auf die Fälle, in denen dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht entsprochen wurde, sondern ein solcher Antrag zurückgewiesen bzw. abgelehnt wurde.

Auch wenn diese doppelte Analogie vorliegend zu bejahen wäre, könnte dies den Antrag nicht zulässig machen. Denn erforderlich in diesem Falle wäre ein bereits beim Sozialgericht gestellter ausdrücklicher Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2002 -- L 9 B 20/02 KR ER --. § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG fordert einen solchen Antrag in bewusster Abgrenzung zu § 80 Abs. 7 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Dies führt dazu, dass das Gericht von Amts wegen eine Überprüfung einer vorangegangenen rechtskräftigen Entscheidung nicht vorzunehmen hat (Meyer-Ladewig, SGG, § 86b Rdnr. 20).

An dem hiernach erforderlichen ausdrücklichen Abänderungsantrag fehlt es im vorliegenden Fall. Zu keinem Zeitpunkt hat der Antragsteller die Abänderung der vorangegangenen Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2002 beantragt, obwohl er spätestens durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2002 auf die alleinige Möglichkeit eines Abänderungsverfahrens sowie die Vorschrift des § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG hingewiesen worden war. Auch sinngemäß unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens des Antragstellers lässt sich ein solcher Antrag nicht entnehmen. Vielmehr hat der Antragsteller den ursprünglichen Antrag wiederholt und damit ausdrücklich den gesamten Streitstoff des vorangegangenen Verfahrens, wenn auch unter Vertiefung und Erweiterung, zur Überprüfung gestellt. Auch wenn sich in einzelnen Punkten neue Erkenntnisse ergeben haben mögen, so führte ihre Einbettung in den bereits im vorangegangenen Verfahren behandelten Streitstoff nur dazu, dass erneut über denselben Streitgegenstand entschieden würde. Dies würde die Rechtskraftwirkung des Beschlusses des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2002 durchbrechen.

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