Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB 2 gem § 28 SGB 10. Rückwirkungsfiktion. Anforderung an Kenntnis. Anwendbarkeit. Bedarfsgemeinschaft. keine Gesamtgläubiger. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Rückwirkungsfiktion für die Antragstellung nach § 28 SGB 10 hat als Schutzvorschrift nicht zur Voraussetzung, dass das Unterlassen der Stellung eines zweiten Antrags im Bewusstsein der Möglichkeit dieser weiteren Antragstellung erfolgt.

2. Insoweit ist auch völlige Unkenntnis oder schlichtes Vergessen unschädlich, sofern nur der Antrag auf eine andere Sozialleistung gestellt worden ist.

 

Orientierungssatz

Bei den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft handelt es sich nicht um Gesamtgläubiger iS des § 428 BGB, da sie nicht berechtigt sind, als Gläubiger aller Forderungen die gesamten Leistungen an sich zu verlangen.

2. Die Vorschrift des § 28 SGB 10 ist auch auf das SGB 2 anwendbar; sie wird gem § 40 Abs 3 SGB 2 durch die Sonderregelung in § 37 SGB 2 nicht vollständig verdrängt.

3. Die Schlechterfüllung einer Beratungspflicht kann zu einem Anspruch des Hilfebedürftigen nach dem Institut des sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs führen. Dieser kann jedoch nur dann eingreifen, sofern eine gesetzliche Regelung keine Abhilfe schaffen kann (vgl BSG vom 15.12.1994 - 4 RA 64/93 = SozR 3-2600 § 58 Nr 2 = MDR 1995, 394).

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.12.2007 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.02.2007 bis zum 20.03.2007 wegen der Frage streitig, ob für diesen Zeitraum ein wirksamer Antrag vorliegt.

Die Kläger zu Ziff. 1. und 2. sind miteinander verheiratet und leben mit ihren gemeinsamen Kindern, den Klägern zu Ziff. 3 bis Ziff. 5, in einem gemeinsamen Haushalt.

Am 29.09.2006 beantragte die Klägerin zu Ziff. 1 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, welche der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 03.01.2007 für die Zeit vom 01.10.2006 bis 31.01.2007 antragsgemäß gewährt wurde. Der Bescheid enthielt einen Hinweis darauf, dass vor Ablauf des Bewilligungszeitraums ein Fortzahlungsantrag zu stellen und aktuelle Belege über die wirtschaftliche Situation vorzulegen seien.

Der Kläger zu Ziff. 2 bezog von der D. R. B.-W. (DRV) eine bis zum 30.11.2006 befristete Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von zuletzt 570,30 € monatlich. Der Antrag auf Weitergewährung nach dem 30.11.2006 wurde von der D. R. mit Bescheid vom 01.11.2007 abgelehnt.

Der Beklagte forderte den Kläger zu Ziff. 2 mit Schreiben vom 03.01.2007 auf, bis spätestens 20.01.2007 nähere Angaben über seine Vermögenswerte (Beteiligung an der C. Sachwert A., Rückkaufswert der A. Lebensversicherung) vorzulegen.

Gemäß einem Aktenvermerk des Beklagten vom 03.07.2007 sind für den Kläger zu Ziff. 2 zwei Kundennummern von der Beklagten vergeben worden; unter der Nummer 664 a 127157 wurde Arbeitslosengeld gewährt; unter der Nummer 664 b 620959 sei Arbeitslosengeld II gewährt worden. Arbeitslosengeld wurde dann mit Bescheid vom 13.02.2007 dem Kläger zu Ziff. 2 vom 05.02.2007 bis längstens 06.02.2008 in Höhe von täglich 25,94 € gewährt.

Am 21.03.2007 beantragte die Klägerin zu Ziff. 1 bei der Beklagten die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II und fügte hierbei aktuelle Kontoauszüge bei.

Der Beklagte forderte daraufhin weitere Unterlagen und Auskunft darüber, wie der Lebensunterhalt in der Zeit vom 01.02. bis 21.03.2007 bestritten worden sei.

Mit Bescheid vom 30.04.2007 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 21.03.2007 bis 30.09.2007 Leistungen in Höhe von 188,84 € für den Monat März und 515,08 € für die folgenden Monate.

Im Mai 2007 meldete die Klägerin zu Ziff. 1 sich persönlich bei dem Beklagten und trug vor, ihr fehlten die Leistungen für den Monat Februar 2007, welche sie dringend zum Leben benötige. Sie sei davon ausgegangen, dass das Geld automatisch weiter gewährt werde und habe nicht gewusst, dass sie einen Fortzahlungsantrag habe stellen müssen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2007 zurück. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende könnten nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden. Die Klägerin zu Ziff. 1 habe vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts vom 30.01.2007 mit Beendigungsschreiben vom 05.01.2007 einen Fortzahlungsantrag zugeschickt bekommen, welchen sie jedoch ohne nachvollziehbare Begründung erst am 21.03.2007 vorgelegt habe.

Die Kläger haben am 27.07.2007 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Den Lebensunterhalt in der streitgegenständlichen Zeit vom 01.02.bis 21.03.2007 hätten sie dadurch bestritten, dass sie des Zahlung des Mietzinses an ihren Vermieter eingestellt hätten und hierdurch mit 100...

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