Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. Versicherungspflicht als Selbständiger. Tätigkeit nur für einen Auftraggeber. Wesentlichkeitsmerkmal. Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte. Zusammenrechnung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung

 

Orientierungssatz

1. Bei der Auslegung des § 2 S 1 Nr 9 Buchst b SGB 6 müssen im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber den von dieser Vorschrift erfassten selbständig Tätigen sozialen, namentlich wirtschaftlichen Schutz durch die gesetzliche Rentenversicherung zukommen lassen will, vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

2. Bei der Anwendung des Wesentlichkeitsmerkmals in § 2 S 1 Nr 9 Buchst b SGB 6 sind - soweit dafür auf die Einkünfte des Betroffenen abgestellt wird - die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.11.2009; Aktenzeichen B 12 R 7/08 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.7.2007 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 13.8.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.10.2005 und in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 3.5.2006 wird auch hinsichtlich des Zeitraums vom 1.8.2002 bis 31.12.2003 aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten (noch) über das Bestehen von Versicherungspflicht als Selbständiger gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Zeit vom 1.8.2002 bis 13.12.2003.

Der 1957 geborene Kläger war bis 31.12.2003 als Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt; er übte bei der Firma R GmbH eine Vertretertätigkeit aus (SG-Akte S. 39) und verdiente dabei ausweislich des bei der Beklagten abgespeicherten Versicherungsverlaufs 2002 32.278,00 € bzw. 2003 26.054 €. Unter dem 15.11.2002 meldete er bei der zuständigen Verwaltungsbehörde (außerdem) zum 1.8.2002 ein Gewerbe als freier Handelsvertreter an (Verwaltungsakte S. 4). Der Kläger hatte am 19./29.7.2002 mit der Firma T-S GmbH, P, einen Handelsvertretervertrag geschlossen (Verwaltungsakte S. 14). Darin ist ihm das Alleinvertriebsrecht für die von dem Unternehmen vertriebenen Kinderschuhe in dem in § 2 des Vertrags näher bezeichneten Vertragsgebiet übertragen (§ 1 des Vertrags). Die Übernahme weiterer Handelsvertretungen gleichartiger Produktgruppen war untersagt; die Ausübung von die Vertretertätigkeit möglicherweise beeinflussenden anderen Tätigkeiten war an die Zustimmung des Unternehmens gebunden (§ 3 des Vertrags).

Mit Schreiben vom 28.5.2004 (Verwaltungsakte S. 1) teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe sich zum 1.1.2004 als freier Handelsvertreter selbstständig gemacht. Dem Schreiben war ein Handelsvertretervertrag mit der Firma D S GmbH, C-R, vom 28.1.2004 (auszugsweise, vollständiger Vertragstext Verwaltungsakte S. 21) beigefügt. Danach übernahm der Kläger als Bezirksvertreter die Vertretung des Unternehmens im Bezirk Baden-Württemberg. Außerdem legte der Kläger die Gewerbeanmeldung vom 15.11.2002 vor.

Mit Schreiben vom 3.6.2004 forderte die Beklagte den Kläger auf, den (ihm übersandten) Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige auszufüllen.

Nachdem der Kläger (auch auf ein Erinnerungsschreiben vom 15.7.2004) nicht geantwortet hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13.8.2004 (Verwaltungsakte S. 9) fest, dass der Kläger ab 1.8.2002 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig ist. Dem Bescheid war als dessen Bestandteil eine Beitragsrechnung über die seit 1.8.2002 zu entrichtenden Rentenversicherungsbeiträge (223,95 € monatlich - halber Regelbeitrag) beigefügt. Außerdem gab die Beklagte dem Kläger auf, für die Zeit vom 1.8.2002 bis 31.8.2004 rückständige Beiträge in Höhe von 5.788,03 € zu zahlen.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, den ihm übersandten Fragebogen habe er aus geschäftlichen Gründen nicht fristgerecht ausfüllen können. Die selbstständige Tätigkeit als freier Handelsvertreter im Nebenerwerb habe er seit 1.8.2002 völlig unabhängig von seiner bis 31.12.2003 noch bestehenden abhängigen Beschäftigung ausgeübt. Mittlerweile verfüge er über drei unterschiedliche Handelsvertretungen aus der Schuhbranche, aufgeteilt in Damen-, Herren- und Kinderkollektion. In seiner Branche sei kein Handelsvertreter pflichtversichert; allenfalls würden freiwillige Beiträge gezahlt. Es sei auch keineswegs ungewöhnlich, als Handelsvertreter nur ein Unternehmen zu repräsentieren. Im günstigsten Fall bleibe für weitere Vertretungen keine Zeit, im ungünstigsten Fall könne man zu jeder Zeit mit anderen Unternehmen Vereinbarungen abschließen.

Der Kläger legte den Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige (Verwaltungsakte S. 13) vor. Darin gab er an, bis 31.12.2003 sei er n...

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