Entscheidungsstichwort (Thema)

Kranken- und Pflegeversicherung. freiwilliges Mitglied. Beitragsbemessung. Bezug von Frühruhestandsgeld als Abfindung. wesentliche Änderung der Verhältnisse. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das "Frühruhestandsgeld", das ein Energieversorgungsunternehmen ausgeschiedenen Mitarbeitern, die freiwillig versicherte Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, zahlt, unterliegt als sonstige Einnahme in voller Höhe der Beitragspflicht.

2. Eine wesentliche Änderung ist nicht durch die Änderung des § 240 SGB 5 durch das GKV-WSG mit Wirkung zum 1.1.2009 eingetreten, weil nunmehr die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und nicht mehr durch die einzelne Krankenkasse durch Satzung geregelt wird, weshalb die zunächst nur teilweise Berücksichtigung des "Frühruhestandsgelds" als Abfindung bei der Festsetzung der Beiträge nicht geändert werden kann.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. September 2010 aufgehoben.

Die Bescheide der Beklagten vom 19. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2010 sowie vom 8. April, 23. Juni und 20. Dezember 2010 werden aufgehoben, soweit die Beklagten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung ab 1. Juli 2009 von mehr als € 161,44, ab 1. April 2010 von mehr als € 164,67, ab 1. Januar 2011 von mehr als € 170,75 und vom 1. März bis 31. Mai 2011 von mehr als € 176,55 festgesetzt haben.

Die Beklagten haben als Gesamtschuldner dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligen ist die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis 31. Mai 2011 streitig.

Der am 1951 geborene Kläger war 19 Jahre und zwei Monate bei einem Energieversorgungsunternehmen (im Folgenden E-AG) beschäftigt. Zum 1. Juni 2005 versetzte ihn die E-AG in den "Frühruhestand" und zahlte ihm vom 1. Juni 2005 bis 31. Mai 2011 ein "Frühruhestandsgeld". Seit 1. Juni 2011 bezieht der Kläger eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Für den "Frühruhestand" und die Berechnung des "Frühruhestandsgelds" fand die Betriebsvereinbarung der Neckarwerke Stuttgart AG (NWS), einer Rechtsvorgängerin der E-AG, Anwendung. Nach § 2 Nr. 1 Satz 2 dieser Betriebsvereinbarung endet mit der Versetzung in den "Frühruhestand" das Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Nr. 1 dieser Betriebsvereinbarung ist der Frühpensionär u.a. verpflichtet, sich arbeitslos zu melden und Arbeitslosengeld zu beantragen sowie auch zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu stellen. § 4 dieser Betriebsvereinbarung bestimmt für das "Frühruhestandsgeld":

§ 4 Frühruhestandsgeld

Der Frühpensionär erhält während des Frühruhestandes eine Abfindung als Frühruhestandsgeld nach folgenden Bestimmungen:

1. Die Höhe des Vorruhestandsgeldes umfasst

- 70 % des 1,1 fachen der beim Ausscheiden erreichten Tabellenvergütung;

- 70 % der beim Ausscheiden des Mitarbeiters gültigen tariflichen Familienzulagen;

- 70 % der Schichtzulage im Durchschnitt der letzten 12 Monate, wenn der Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 10 Jahre ununterbrochen im Schichtdienst gearbeitet hat;

- 70 % von 1/12 des beim Ausscheiden gültigen tariflichen Urlaubsgeldes;

- 70 % der vor dem Ausscheiden gezahlten Leistungs- und Umstellungszulage.

2. Auf das Frühruhestandsgeld wird angerechnet der Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes (§ 122 AFG oder des Krankengeldes (§§ 155, 158 AFG i. V. m. §§ 44 ff. SGB V).

3. Einkünfte aus Nebentätigkeiten im Rahmen des § 115 AFG werden nicht auf das Frühruhestandsgeld angerechnet; solche Einkünfte mindern im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die Höhe des Arbeitslosengeldes; die NWS gleicht diese Minderung nicht aus.

4. Die NWS teilt dem Frühpensionär den Betrag des Frühruhestandsgeldes durch schriftlichen Bescheid mit.

5. Die Abfindung wird in monatlichen Beträgen gezahlt und hinsichtlich Fälligkeit und Zahlungsweise behandelt wie die Monatsvergütung der aktiven Mitarbeiter.

6. Das Frühruhestandsgeld erhöht sich bei allgemeinen Tariferhöhungen entsprechend dem Prozentsatz, um den sich die monatliche Tabellenvergütung in der Anfangsstufe der Vergütungsgruppe 4 erhöht. Stufenvorrückungen finden während des Frühruhestandes nicht statt.

Das dem Kläger gezahlte "Frühruhestandsgeld" betrug nach seinen Angaben brutto ab 1. Juni 2005 € 2.910,15, ab 1. April 2006 € 3.009,10, ab 1. März 2007 € 3.063,26, ab 1. April 2008 € 3.196,51, ab 1. Mai 2009 € 3.311,58, ab 1. April 2010 € 3.377,81 und ab 1. März 2011 € 3.492,66. In der dem Kläger erteilten Bescheinigung vom 6. April 2009 bezifferte die E-AG die Gesamtabfindung mit einer Laufzeit von 72 Monaten auf insgesamt € 193.203,00, davon € 9.000,00 steuerfrei.

Der Kläger war bis 27. Februar 2011 in der gesetzlichen Krankenversicherung frei...

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