Entscheidungsstichwort (Thema)

Familienversicherung. Ausschluß. Kind. getrennt lebende Eltern. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Ausschluß der Familienversicherung gemäß § 10 Abs 3 SGB 5 verstößt weder gegen Art 6 Abs 1 oder Abs 4 GG noch gegen Art 3 Abs 1 GG.

2. Verhältnismäßigkeitserfordernisse gebieten es nicht, daß Kinder getrennt lebender Eltern von der Regelung des § 10 Abs 3 SGB 5 auszunehmen sind (vergleiche BSG vom 7.11.1991 - 12 RK 18/91 = SozR 3-2500 § 240 Nr 7 und so wohl auch BVerfG vom 9.6.1978 - 1 BvR 628/77 = SozR 2200 § 205 Nr 18).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.01.2001; Aktenzeichen B 12 KR 5/00 R)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger familienversichert ist, seit seine miteinander verheirateten Eltern getrennt leben. Der Kläger lebt im Haushalt seiner Mutter.

Die Mutter des Klägers ist seit Jahren Mitglied der Beklagten, und zwar nahezu ausschließlich als Versicherungspflichtige. Dort war auch der ... 1985 geborene Kläger vor dem 1. April 1995 freiwillig versichert. Er hatte den Mindestbeitrag nach § 240 Abs. 4 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zu zahlen. Über seine Mutter war er nicht beitragsfrei nach § 10 SGB V familienversichert, weil im Hinblick auf die bei seinem Vater vorliegenden Umstände die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V als erfüllt angesehen worden waren. Nach dieser Vorschrift sind Kinder von Mitgliedern nicht versichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze (1995: 5.850,-- DM; 1996: 6.000,-- DM; 1997: 6.150,-- DM; 1998: 6.300,-- DM; 1999: 6.375,-- DM) übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist.

Durch am 17. Mai 1995 eingegangenes Schreiben, das sie auf fernmündliche Rückfrage erläuterte, machte die Mutter des Klägers geltend, ihr Sohn müsse seit 1. April 1995 (aus ihrer Versicherung) familienhilfeberechtigt sein, weil sie und ihr Ehemann seit 1. April 1995 getrennt lebten. Sie stützte sich auf die Gründe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. Januar 1995 -- 1 BvL 20/87 und 20/88 (BVerfGE 91, 389 = NJW 1995, 1341), wonach dauernd getrennt lebende Ehegatten unterhaltsrechtlich den Geschiedenen näherstünden als Verheirateten. Durch Bescheid vom 23. Juni 1995 lehnte es die Beklagte ab, die Familienhilfeberechtigung des Klägers festzustellen. Auf den von der Mutter des Klägers eingelegten Widerspruch lehnte die Beklagte den Antrag durch mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 27. Juli 1995 erneut ab. Den Widerspruch wies der Widerspruchsausschuß II der Beklagten durch Bescheid vom 11. Januar 1996 zurück.

Der Kläger erhob hierwegen beim Sozialgericht (SG) Freiburg Klage und machte geltend, § 10 Abs. 3 SGB V sei verfassungswidrig. Er verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG, zumindest aber gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil geschiedene Eltern nicht unter den Ausschlußtatbestand fielen und das Gesetz deshalb aus der Sicht des Kindes getrennt lebender Eltern wegen deren wirtschaftlicher Schlechterstellung deren Scheidung verlange. Für die Ungleichbehandlung von Kindern getrennt lebender und geschiedener Ehegatten fehle auch ein rechtfertigender Grund, denn auch bei Getrenntlebenden bestehe die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht mehr. Der Kläger legte u.a. in Kopie Gehaltsabrechnungen der F AG, R (Schweiz), für Januar, Februar und März 1996 vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Durch Urteil vom 26. September 1996, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen dieses seinen Prozeßbevollmächtigten am 18. November 1996 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil legte der Kläger am 17. Dezember 1996 durch Fernkopie beim SG Berufung ein. Das SG habe übersehen, daß Art. 6 GG den Staat verpflichte, Ehe und Familie zu fördern, und ihm verbiete, sie zu diskriminieren. Gegen beides verstoße § 10 Abs. 3 SGB V, weil er zur Scheidung dränge und Eheleute gegenüber geschiedenen früheren Ehegatten schlechter stelle. Wegen der nicht mehr bestehenden Wirtschaftsgemeinschaft werde außerdem ein Familienlastenausgleich nötig, da seine Mutter mit ihm, dem Kläger, wegen der mit dem Getrenntleben verbundenen wirtschaftlichen Mehrbelastungen wieder zum schutzbedürftigen Personenkreis gehöre. Die Vorschrift verstoße auch gegen Art. 6 Abs. 4 GG, welcher den Ausgleich der besonderen Belastungen der Mutterschaft bezwecke. Das Grundrecht setze sich gegenüber extremen Belastungen der öffentlichen Haushalte durch. Die mit § 10 Abs. 3 SGB V verbundene Ungleichbehandlung zwischen Getrenntlebenden und Geschiedenen sei ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Beide befänden sich wirtschaftlich in der gleichen Lage, und auch die bei ersteren noch bestehenden Familienbande stünden nur auf dem Papier.

Die Beklagte trat der Berufung entgegen. Sie vermochte e...

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