Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Pflegeversicherung. Aufrechterhaltung eines privaten Pflegeversicherungsvertrags trotz außerordentlicher Kündigung. Kündigungsverbot gem § 110 Abs 4 SGB 11. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Beendigung des privaten Pflegeversicherungsvertrags durch außerordentliche Kündigung steht das Kündigungsverbot gem § 110 Abs 4 SGB XI entgegen.

2. Eine (unterstellt) wirksame Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrags durch das Versicherungsunternehmen hat keine automatischen Auswirkungen auf den bereits bestehenden privaten Pflegeversicherungsvertrag.

 

Orientierungssatz

Die Verpflichtungen gem § 23 Abs 1 S 1 SGB 11 und § 1 Abs 2 S 2 SGB 11 zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung (§ 110 Abs 4 SGB 11) des Versicherungsvertrages sind verhältnismäßig und damit verfassungsgemäß (vgl BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 2014/95 = BVerfGE 103, 197 = SozR 3-1100 Art 74 Nr 4).

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. April 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Fortbestand einer privaten Pflegepflichtversicherung streitig.

Der 1951 geborene Kläger unterhält seit 1. Juni 1991 bei der Beklagten, einem privaten Krankenversicherungsunternehmen, unter der Versicherungsnummer ...-2 eine Krankheitskostenvollversicherung sowie eine Pflegepflichtversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegepflichtversicherung der Beklagten zugrunde liegen.

Der Kläger bezog ab 1. Juli 2016 Pflegegeld nach Pflegestufe I und nach Überleitung der Pflegestufen in Pflegegrade ab 1. Januar 2017 Pflegegeld nach Pflegegrad 2; darüber hinaus gewährte die Beklagte dem Kläger verschiedene Pflegehilfsmittel (vgl. Schreiben vom 28. Juli 2016).

In der Vergangenheit kam es zwischen den Beteiligten im Rahmen der Kranken- und Krankentagegeldversicherung mehrfach zu Streitigkeiten und gerichtlichen Auseinandersetzungen. Zuletzt erachtete die Beklagte die vom Kläger in Anspruch genommene Intensität von Physiotherapieleistungen nicht für nachvollziehbar, weshalb sie wegen des Verdachts auf einen Leistungsmissbrauch eine Observation durch Privatdetektive veranlasste.

Mit Schreiben vom 16. März 2017 wandte sich die Beklagte an den Kläger und führte unter Bezugnahme auf § 192 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) aus, der Versicherer sei im Rahmen eines Krankheitskostenvertrages verpflichtet, Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen an den Versicherungsnehmer zu erstatten. Aufwendungen seien die Leistungen zu denen der Versicherungsnehmer gegenüber dem jeweiligen Leistungserbringer verpflichtet sei. Dies setze eine begründete Rechnungslegung und einen fälligen Anspruch voraus. Gemäß Rechnungen vom 22. November 2016 und 30. November 2016 habe die Physiotherapeutin S. für zwei näher bezeichnete Zeiträume 15 bzw. vier Behandlungstermine abgerechnet, die der Kläger als stattgefunden bestätigt habe, während sie - die Beklagte - in Erfahrung gebracht habe, dass an den näher aufgeführten Terminen nachweislich keine Therapiemaßnahmen durchgeführt worden seien. Da der Kläger an diesen Tagen Therapiemaßnahmen behaupte und auf dieser Grundlage Krankenversicherungsleistungen begehre, habe er sie - die Beklagte - über die tatsächlichen Umstände getäuscht und versucht, sich Leistungen zu erschleichen. Er habe dadurch in erheblicher Weise unredlich und treuwidrig zu ihrem Nachteil gehandelt. Da der private Krankenversicherungsvertrag in besonderem Maße von dem Grundsatz von Treu und Glauben geprägt sei, aufgrund der geschilderten Umstände und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger bereits im Zusammenhang mit der Krankentagegeldversicherung treuwidrig Leistungen erschlichen habe, sei eine Fortführung des Vertrages nicht mehr zumutbar. Sie erkläre daher hiermit die außerordentliche Kündigung des Vertrages gemäß § 314 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Vertrag ende daher mit Zugang dieses Schreibens. Ein Nachtrag zum Versicherungsschein erhalte er in den nächsten Tagen gesondert. Der Kläger möge beachten, dass auch im Bereich der privaten Krankenversicherung eine Versicherungspflicht bestehe. Er möge sich daher umgehend um einen nachfolgenden Versicherungsschutz bei einem anderen Krankenversicherer kümmern.

Mit Schreiben vom 20. März 2017 erhob der Kläger Einwendungen gegen die außerordentliche Kündigung des Krankenversicherungsvertrages und forderte die Beklagte auf, das Vertragsverhältnis fortzusetzen. Ein wichtiger Grund für eine Kündigung bestehe nicht.

Mit Schreiben vom 23. März 2017 führte die Beklagte gegenüber dem Kläger die „monatlichen Beitragsraten für die Krankenversicherung zum 18. März 2017“ und die „monatlichen Beitragsraten für die Pflegeversicherung zum 18. März 2017“ mit jeweils € 0,00 auf und bezog sich insoweit auf ihr Schreiben vom 16. März 2017 und die erf...

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