Entscheidungsstichwort (Thema)

Kranken- und Pflegeversicherung. freiwilliger Beitritt bzw Pflichtmitgliedschaft. Bezug von Sozialhilfeleistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG und SGB 12

 

Leitsatz (amtlich)

Das Beitrittsrecht zur freiwilligen Versicherung gemäß § 9 Abs 1 S 1 Nr 8 SGB 5 ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Berechtigte ab dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB 12 erhält (Bestätigung von LSG Stuttgart vom 11.4.2006 - L 11 KR 714/06).

 

Normenkette

SGB V § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 8; SGB XI § 20 Abs. 3

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 13.06.2007; Aktenzeichen B 12 KR 32/06 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. März 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin ab 01.01.2005 durch Beitritt freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung der Beklagten geworden ist.

Die 1921 geborene Klägerin, die aus der Ukraine stammt, war zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert. Sie bezog in der Vergangenheit Leistungen nach §§ 11 ff. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und bis 31.12.2004 Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG). Seit 01.01.2005 ist sie Empfängerin von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

Im Dezember 2004 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Beitritt zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.01.2005.

Mit Bescheid vom 15.12.2004 lehnte die Beklagte einen Beitritt ab. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) könnten Personen, die zuvor zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert gewesen seien und vor dem 01.01.2005 für mindestens einen Monat ununterbrochen Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 11 BSHG bezogen hätten und diese vor dem 01.01.2005 beendet worden seien, eine freiwillige Krankenversicherung beantragen. Trete anstelle der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG eine Leistung der Grundsicherung, könne nicht von einem beendeten Leistungsbezug ausgegangen werden. Da die Klägerin ab 01.01.2005 Leistungen der Grundsicherung erhalte, sei deshalb eine freiwillige Versicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 SGB V nicht möglich.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, sie erhalte ab 01.01.2005 keine Leistungen des BSHG mehr, sondern solche nach dem SGB XII. Im Gesetzestext heiße es nicht, dass der Leistungsbezug generell beendet sein müsse. Wenn der Gesetzgeber den Personenkreis, der weiterhin Leistungen erhalte, generell habe ausschließen wollen, würde das Gesetz praktisch “ins Leere„ laufen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe Leistungen der Grundsicherung und nicht nach dem BSHG erhalten. Hierbei handele es sich um zwei völlig unterschiedliche Leistungen mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. Eine Bescheinigung über den beendeten Leistungsbezug nach § 11 BSHG sei dem Antrag nicht beigefügt gewesen. Außerdem liege auch kein glaubhafter Nachweis über die Nichtversicherung in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung vor.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Sie wiederholte im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und legte den Bescheid des Sozialamts der Stadt F. vom 16.09.2002 über die Änderung von laufenden Leistungen nach § 11 ff BSHG und ein Schreiben des Sozialamtes vom 05.12.2003 über die bevorstehende Übernahme der Betreuung der Sozialhilfeempfänger im Krankheitsfall durch die Krankenkassen vor. Ergänzend berief sie sich auf ein Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 29.08.2005 - S 4 (6) KR 78/05).

Die Beklagte wies auf einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07.07.2005 - S 81 KR 1003/05 - hin und vertrat die Auffassung, dass wenn an die Stelle der Leistungen nach § 11 BSHG Leistungen der Grundsicherung getreten seien, nicht von einem beendeten Leistungsbezug ausgegangen werden könne.

Mit Urteil vom 09.03.2006, der Beklagten zugestellt am 04.05.2006, hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 15.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.03.2005 auf und verurteilte die Beklagte, die Klägerin ab 01.01.2005 als freiwilliges Mitglied in die Krankenversicherung nach § 9 SGB V aufzunehmen. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Auslegung nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 8 SGB V helfe bei der Frage, ob die Klägerin zum beitrittsberechtigten Personenkreis zähle oder nicht, nicht entscheidend weiter. Einerseits könne die ausdrückliche Erwähnung des Bezugs von Leistungen “in der Vergangenheit„ dafür sprechen, dass es ab 01.01.2005 keinen weiteren Leistungsbezug geben dürfe; zum anderen könne die Erwähnung von Leistungen “nach dem BSHG„ dafür sprechen, dass ein späterer Sozialhilfebezug unschädlich sei. En...

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