Entscheidungsstichwort (Thema)

Kranken-Pflegeversicherung. freiwillige Versicherung bzw Pflichtversicherung. Bezug von Sozialhilfeleistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bzw SGB 12

 

Orientierungssatz

1. Einen Ausschluss vom Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung von Personen, die ab dem 1.1.2005 Leistungen nach dem SGB 12 erhalten, sieht der Gesetzeswortlaut nicht vor.

2. Die unpräzise Bedingung in § 9 Abs 1 S 1 Nr 8 SGB 5, diese Leistung müsse "in der Vergangenheit" bezogen worden sein, lässt sich nicht dahingehend interpretieren, dass der Leistungsbezug bis zum 1.1.2005 abgeschlossen sein muss.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. Januar 2006 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juli 2005 verurteilt, festzustellen, dass die Klägerin ab 01.01.2005 freiwilliges Mitglied in der Kranken- und Pflegeversicherung der Beklagten ist.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin ab 01.01.2005 durch Beitritt freiwilliges Mitglied der Beklagten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung geworden ist.

Die 1930 geborene Klägerin war zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert. Sie bezog bis 31.12.2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Seit 01.01.2005 ist sie Empfängerin von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

Am 29.04.2005 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Beitritt zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung.

Mit Bescheid vom 03.06.2005 stellte die Beklagte unter Bezugnahme auf das Besprechungsergebnis des Arbeitskreises Versicherung und Beiträge der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 13.10.2004 fest, dass für die Klägerin eine Beitrittsmöglichkeit nicht bestehe, weil sie über den 31.12.2004 hinaus Leistungen zum Lebensunterhalt beziehe. Ein Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 Nr. 8 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) komme nur in Betracht, wenn der Leistungsbezug vor dem 01.01.2005 geendet habe. Bei Personen, die im Anschluss an den Bezug von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt bei Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung weiterhin Hilfe in besonderen Lebenslagen erhalten würden, sei nicht von einem beendeten Leistungsbezug auszugehen. Gleiches gelte für Bezieher von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG), wenn die Leistung der Grundsicherung an die Stelle der bisherigen laufenden Sozialhilfeleistung getreten sei.

Die Klägerin erhob dagegen unter Hinweis auf den Widerspruch des Kreissozialamts K. vom 24.05.2005 Widerspruch. Darin wird im wesentlichen ausgeführt, nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung sei es unerheblich, ob der Bezug von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt abgeschlossen sei. Abgesehen davon bestehe das BSHG seit dem 01.01.2005 nicht mehr, so dass eine entsprechende Leistungsgewährung ab Januar 2005 schon dem Grunde nach nicht mehr möglich sei. Der Gesetzgeber habe keine Einschränkung des Beitragsrechts für den Fall der Weitergewährung von Sozialleistungen vorgesehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend wies sie darauf hin, die Spitzenverbände der Krankenkassen hielten an der Rechtsauffassung fest, nach der das Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB V restriktiv auszulegen sei und einen eng umgrenzten Personenkreis umfasse. Dies werde auch aus den Gesetzesmaterialien deutlich (Bundestags-Drucksache 15/1749, Seite 36). Dort werde ausdrücklich auf ehemalige Bezieher von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt abgestellt. Zudem solle einem Anliegen des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestags Rechnung getragen werden, “bei der Neuregelung der Versicherungspflicht von Sozialhilfeempfängern eine Regelung für Altfälle vorzusehen„. Die Ablösung des BSHG durch das SGB XII hätte nicht dazu führen sollen, allen Sozialhilfeempfängern ein einmaliges Beitrittsrecht einzuräumen. Solange Bürger Leistungen nach dem SGB XII beziehen würden, würden sie einen umfassenden Schutz bei Krankheit durch die Betreuung nach § 264 Abs. 2 SGB V erhalten. Hätte der Gesetzgeber ein umfassendes Beitrittsrecht für notwendig gehalten, wäre das Rechtsinstitut der Betreuung nach § 264 Abs. 2 SGB V durch eine generelle Versicherung der Sozialhilfeempfänger zu ersetzen gewesen. Das sei erkennbar nicht der Fall.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Sie nahm Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und wies ergänzend darauf hin, aus den gesetzlichen Regelungen sei nach Auffassung des Sozialamtes K. eine eindeutige Zuweisung nicht ersichtlich.

Die Beklagte berief sich auf die ergangenen Bescheide.

Mit Urteil vom 19.01.2006 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Beklagte hab...

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