Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs. Vollzugsfolgenbeseitigung. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bewilligt ein Träger der Sozialhilfe Leistungen der Grundsicherung und der Hilfe zur Pflege in einem Bescheid "ab" einem bestimmten Zeitpunkt und hat er zuvor diese Leistungen jeweils jährlich zum gleichen Stichtag neu berechnet, so gilt dieser Verwaltungsakt über den Bewilligungsmonat hinaus und ist insoweit ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Eine Änderung der Bewilligung innerhalb des Regelungszeitraums erfordert eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB 10.

2. Der Widerspruch gegen eine solche Entscheidung hat - vorbehaltlich einer behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs - gemäß § 86a Abs 1 SGG aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass Leistungen zunächst weiter zu zahlen sind. Dies ist gegebenenfalls in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren in entsprechender Anwendung von § 86b Abs 1 SGG festzustellen. Nicht ausbezahlte Leistungen können über die Vollzugsfolgenbeseitigung (§ 86b Abs 1 S 2 SGG) zugesprochen werden. Dazu muss gegebenenfalls das Rechtsschutzbegehren im Rahmen des § 123 SGG durch Auslegung ermittelt werden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Mai 2006 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die beim Sozialgericht Freiburg - S 9 SO 2087/06 - erhobene Klage wegen des Bescheids vom 7. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2006 aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin hat an die Antragstellerin die in der Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2005 beim Einkommenseinsatz berücksichtigten Beträge in Höhe von jeweils 76,69 Euro monatlich (insgesamt 230,07 Euro) auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde (§ 173 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫), der das Sozialgericht Freiburg (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig. Das Beschwerdebegehren ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Infolgedessen hat die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2006 auf die bewilligte, als “Leistungen der Grundsicherung in Einrichtungen„ bezeichnete Leistungsart weitere jeweils 76,69 Euro monatlich einstweilen auszuzahlen; hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass die Beklagte die Höhe der Eigenleistungen mit Bescheid vom 29. Juni 2006 ab 1. Juni 2006 neu festgesetzt hat. Sonach ist in Anbetracht der nach gegenwärtigem Erkenntnisstand als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG) aufzufassenden Rechtsverfolgung im Klageverfahren S 9 SO 2087/06 davon auszugehen, dass dort - derzeit unter Anfechtung des Bescheids vom 7. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2006 - im Ergebnis nur noch um höhere Leistungen für den Zeitraum bis vom 1. März bis 31. Mai 2006 gestritten wird.

Mit dem SG ist auch der Senat bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Auffassung, dass der von der Klägerin erstrebte vorläufige Rechtsschutz nicht über die einstweilige Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) gesucht werden kann. Denn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG wegen des Vorrangs der Regelungen in § 86b Abs. 1 SGG nur statthaft, wenn gerichtlicher Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren über die isolierte Anfechtungsklage nicht zulässigerweise erreicht werden könnte. Um eine Anfechtungssache handelt es sich indes bei vorläufiger Prüfung bei dem im Klageverfahren vor dem SG - S 9 SO 2087/06 - geltend gemachten Begehren, wobei die Vorschrift des § 86b Abs. 1 SGG vorliegend allerdings nicht unmittelbar, sondern entsprechend anzuwenden ist, weil die Klage wegen des Bescheids vom 7. März 2006 (Widerspruchsbescheid vom 10. April 2006) aufschiebende Wirkung hat; dies wird nachstehend auszuführen sein. Die Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs erfolgt durch (deklaratorischen) Beschluss (vgl. Bundessozialgericht ≪BSG≫, Beschluss vom 11. Mai 1993 - 12 RK 82/92 - NZS 1994, 335; Thüringer Landessozialgericht ≪LSG≫ , Beschluss vom 23. April 2002 - L 6 RJ 113/02 ER - ≪juris≫; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage, Rdnr. 11; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnr. 15; vgl. auch die herrschende Meinung in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu der Parallelregelung des § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫, wiedergegeben von Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 3. Auflage, § 80 Rdnr. 115). Zwar hatte die Klägerin mit ihrem am 28. April 2006 beim SG eingegangenen Antrag ausdrücklich nur den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und dieses Begehren im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 14. Juni 2006 im Hilfsantrag dahingehend erweitert, dass sie die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids vom 7. März 2006 im Umfang seines Vollzugs sowie ...

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