Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung. Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung. Umfassende Interessenabwägung als Prüfungsmaßstab bei einer verhaltensbedingten Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wiederholte Verspätungen des Arbeitnehmers bei der Arbeitsaufnahme können die ordentliche fristgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

2. Auch wenn in aller Regel eine einschlägige Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung erforderlich ist, kann diese entbehrlich sein, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber unzumutbar ist.

3. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn neben dem ausreichenden Kündigungsgrund eine umfassende Interessenabwägung zu dem Ergebnis führt, dass das Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses höher zu bewerten ist als das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses. In diese Interessenabwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen.

 

Normenkette

BGB § 623; KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1; ZPO § 398 Abs. 1, § 529 Abs. 1 Nr. 1; TV-L § 34 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Flensburg (Entscheidung vom 27.01.2021; Aktenzeichen 1 Ca 1135/19)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 27.01.2021 - 1 Ca 1135/19 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Rechtmäßigkeit einer fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

Die am ....1980 geborene, ledige und bei Zugang der Kündigung kinderlose Klägerin ist seit dem 01.01.2006 auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags beim beklagten Land beschäftigt. Sie wird als Serviceangestellte beim Sozialgericht ... im Umfang von 60% der regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L Anwendung. Die Klägerin ist eingruppiert in die Entgeltgruppe 3 TV-L. Für die Angestellten des Gerichts gilt eine Gleitzeitregelung, die Kernarbeitszeit beginnt um 9.00 Uhr.

Die Klägerin arbeitet montags, mittwochs und freitags jeweils 8 Stunden. Sie wird in der Poststelle des Sozialgerichts eingesetzt und ist an ihren Arbeitstagen dort die einzige Mitarbeiterin. Wegen der der Klägerin übertragenen Aufgaben wird auf die umfangreiche Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Zwischen Juni 2018 und Februar 2019 verließ die Klägerin wiederholt zum Rauchen das Gerichtsgebäude, ohne sich auszustempeln. In einem wegen dieses Verhaltens geführten Gesprächs am 27.02.2019 teilte der Geschäftsleiter des Sozialgerichts ... der Klägerin mit, sie begehe durch das unterlassene Ausstempeln einen Arbeitszeitbetrug. Die Parteien verständigten sich auf die Erteilung einer Abmahnung und dass die Klägerin einen Teil der versäumten Arbeitszeit nacharbeiten solle. Wegen der Einzelheiten der mit Schreiben vom selben Tag erteilten "Abmahnung" wird auf Bl. 31 d.A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 31.07.2019 (Bl. 28 d.A.) erteilte das beklagte Land der Klägerin eine weitere Abmahnung, in der neben anderem auch das verspätete Erscheinen der Klägerin zu einer internen dienstlichen Fortbildung als arbeitsvertragswidrig gerügt wurde.

Am Montag, dem 21.10.2019 erschien die Klägerin zunächst nicht zur Arbeit, sodass die Bearbeitung der eingegangenen Post entsprechend einer "Notfallliste" verteilt wurde. Gegen 10.30 Uhr rief die Klägerin beim Geschäftsleiter ... an und teilte mit, sie habe verschlafen. Sie versicherte, dies werde nicht mehr vorkommen und bot an, den Tag als Urlaubstag anzurechnen. So geschah es dann auch. Am 23.10.2019 sprach Herr ... die Klägerin auf ihr Verhalten am Montag an. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind streitig.

Am Freitag, dem 25.10.2019 rief die Klägerin gegen 11.30 Uhr bei der Verwaltungsgeschäftsstelle des Sozialgerichts an und teilte mit, dass sie erneut verschlafen habe. Um 14.30 Uhr erschien sie zum Dienst und arbeitete bis 18.30 Uhr.

Am Montag, dem 28.10.2019 erschien die Klägerin um 9.07 Uhr zur Arbeit. Im Laufe des Tages wurde sie zum Verhalten am 25.10.2019 angehört und teilte u.a. mit, sie habe am Vorabend des 21. und des 25.10. ein homöopathisches Mittel (Baldrian1200) eingenommen und jeweils den Wecker nicht gehört.

Mit Schreiben vom 30.10.2019 (Bl. 24 ff. d.A.), das der Klägerin am 01.11.2019 zuging, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Gegen beide Kündigungen hat die Klägerin fristgemäß Kündigungsschutzklage eingereicht und das Fehlen eines wichtigen Grundes für die fristlose Kündigung sowie die mangelnde soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung geltend gemacht.

Sie hat im Wesentlichen ...

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